Der Mensch im Monster

»Bartsch, Kindermörder« - ein Monolog über einen Verbrecher, der Täter und Opfer war

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 2 Min.
Was Jürgen Bartsch, Kindermörder aus dem Ruhrgebiet, seinem Therapeuten mit der Freimütigkeit des Verlorenen zu Protokoll gab, ergab vor Jahren eine Dokumentation, ohne dass er je zu sehen war. Schlagersänger wäre der Adoptivsohn eines Fleischerehepaars gern geworden, den Metzgerberuf musste er erlernen. Auf dem Band berichtete ein intelligenter, sensibler, selbstreflexiver Mann auch über die Höllenqualen, wenn ein Aufwallen von Tötungswut alle rationalen Bedenken außer Kraft setzte. Über die Verzweiflung nach der Tat, die Angst vorm nächsten Anfall. In einem Kinderheim wollte er arbeiten, sich sterilisieren lassen. Aus der Narkose erwachte er 1976, gerade 30, nicht mehr. Alle Versuche seines Anwalts, den Sachverhalt aufzuklären, scheiterten. Gut 400 Briefe schrieb der Häftling an den amerikanischen Journalisten Paul Moor. Sie bieten, publiziert, Einblicke in die Denkwelt eines als Bestie apostrophierten Täters, der zugleich Opfer war. Oliver Reese hat aus den Briefen einen schon mehrfach inszenierten Monolog geformt, der dem Unbegreiflichen wertungsfrei, aber einfühlsam Kontur geben möchte. Im ACUD-Theater an der Veteranenstraße läuft »Bartsch, Kindermörder« derzeit in der Regie von Jörg Weismann. Wenige Kleinmöbel gliedern den schwarzen Bühnenraum. Links wird in einer Zinkwanne Bartsch von der Adoptivmutter gewaschen. Noch mit 19, bis zu seiner Verhaftung, bestand dieses Ritual. »Mama« schmettert dazu Heintje, den der Junge liebt. Reichlich 45 Minuten lang berichtet er dann über sich. Von der kurz nach der Geburt verstorbenen Mutter, der eisigen Atmosphäre bei den Adoptiveltern: Vater arbeitet ununterbrochen und brummelt nur, Mutter plagten Sauberkeitswahn und ein »Wechselbadtemperament«. Weder durfte er mit anderen Kindern spielen, noch sich beschmutzen. Mutter warf ein Messer nach ihm, in der Schule war er als Kleinster der Prügelknabe. Ein Neffe und Pater Pütz im Knabeninternat vergingen sich an ihm. Selbstmordgedanken, Rachefantasien und die steten sexuellen Verdächtigungen einer prüden Umgebung beginnen sich zu entladen. Vier Jungen lockt er in einen alten Luftschutzstollen und bringt sie um, das fünfte Opfer kann fliehen, alarmiert die Polizei. Vieles mehr erfährt man von Bartsch, seinem einzigen Freund, den Freuden als Messdiener, dem Freitod eines Kameraden. Stephan Jurichs, ein zierlicher Kindmann von gefühlten 16 mit brennenden Augen, steigert sich bewusst nervös und ungelenk in die Rolle, hetzt bald wie gejagt über die Szene, verbarrikadiert sich am Ende in einer Möbelhöhle, aus der er seine Verhaftung meldet. Spielerisch engagierte Annäherung an den Menschen im Monster. 19.-21.1., 20 Uhr, ACUD-Theater, Veteranenstraße 21, Mitte, Kartentelefon 44 35 94 97; auch 3.2., 17 Uhr, Sophiensaele, Sophienstraße 18, Mitte, Kartentelefon 283 52 66

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