Kipping: Bundesregierung steht auf Seiten der Reichen

Armutsbericht wurde zensiert / Arme haben weniger Einfluss auf Politik als Reiche / Aussagen über Krise der Repräsentation gestrichen

  • Elsa Koester und Simon Poelchau
  • Lesedauer: 4 Min.

Eigentlich hatte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) eine gute Idee, als sie im März 2015 beschloss, in dem Armuts- und Reichtumsbericht erstmals den Einfluss von Eliten und Vermögenden auf politische Entscheidungen untersuchen zu lassen. Damit wurde der Osnabrücker Politikwissenschaftler Armin Schäfer beauftragt. »Die Wahrscheinlichkeit für eine Politikveränderung ist wesentlich höher, wenn diese Politikveränderung von einer großen Anzahl von Menschen mit höherem Einkommen unterstützt wird«, war eine seiner Feststellungen. In der Version des Berichts, die den Regierungsressorts vorgelegt wurde, ist diese Aussage jedoch nicht zu finden: Sie wurde gestrichen.

Wir zuerst die »Süddeutsche Zeitung« berichtete, sind von den Streichungen mehrere kritische Passagen betroffen – vor allem Aussagen darüber, ob Reiche mehr Einfluss auf politische Entscheidungsfindungen haben als ärmere Menschen. Die erste, unveränderte Version, auf die sich das Blatt bezieht, wurde vom Bundesarbeitsministerium verfasst und dem Kanzleramt sowie weiteren Ministerien vorgelegt.

Schäfer warnte in dieser Fassung deutlich vor einer »Krise der Repräsentation«: »Personen mit geringerem Einkommen verzichten auf politische Partizipation, weil sie Erfahrungen machen, dass sich die Politik in ihren Entscheidungen weniger an ihnen orientiert.« Ebenso gestrichen worden sei der Satz: In Deutschland beteiligten sich Bürger »mit unterschiedlichem Einkommen nicht nur in sehr unterschiedlichem Maß an der Politik, sondern es besteht auch eine klare Schieflage in den politischen Entscheidungen zulasten der Armen«.

Die LINKE-Chefin Katja Kipping zeigte sich am Donnerstag empört über die Streichungen. »Diese Beschönigungen sind eine Schande. Der Armutsbericht stellt damit der Bundesregierung nicht nur ein Armutszeugnis für ihre Sozialpolitik, sondern auch in Sachen Transparenz und Heuchelei aus«, sagte sie dem »nd«. Wer die dramatischen Folgen der sozialen Spaltung für die Demokratie verschweige, zeige »offen, wo er steht: auf Seiten der Reichen und Großkonzerne.« Auch die SPD störe es offensichtlich nicht übermäßig, wenn Berichte ihrer Arbeitsministerin derartig entschärft würden.

Das Bundesarbeitsministerium hingegen sieht in den Steichungen einen normalen Vorgang: Die Fassung des Armuts- und Reichtumsberichts, auf die sich die bisherige Berichterstattung beziehe, sei lediglich ein Entwurf gewesen, der ausschließlich für die Ressortabstimmung bestimmt gewesen sei und lediglich einen Zwischenstand im Prozess der Berichtserstellung dargestellt habe. »Dass im Zuge dieses Stadiums Änderungen vorgenommen werden, entspricht nicht nur dem Charakter von Ressortabstimmungen, es ist nachgerade ihr Ziel«, so eine Sprecherin des Ministeriums gegenüber »nd«. Es handele sich um ein »übliches Verfahren«. Die Endfassung des fünften Armuts- und Reichtumsberichts mit abschließenden Stellungnahmen und Bewertungen werde erst im Frühjahr 2017 vom Kabinett beschlossen.

Lobby Control: Soziale Ungleichheit hat Sprengkraft für die Demokratie

Die NGO »Lobby Control« nannte die Streichung der kritischen Passagen einen »großen Fehler«. Das Design der Schäfer-Studie erinnere an eine ähnliche Studie aus den USA mit dem Titel »Rich people rule!« (Reiche regieren) von 2008, die damals für viel Aufmerksamkeit gesorgt habe. Die Bundesregierung wolle solch eine Aufruhr wohl verhindern. Doch »soziale Ungleichheit und die Konzentration von Reichtum ist ein Thema mit Sprengkraft für unsere Demokratie«, so die NGO in einer Erklärung vom Donnerstag. Eine ungleiche Berücksichtigung politischer Interessen hebele das demokratische Gleichheitsgebot »ein Mensch, eine Stimme« aus. Angesichts wachsender Politik- und Demokratieverdrossenheit seien die Ergebnisse der Studie höchst aktuell.

Schon am Mittwoch hatte der LINKE-Präsidentschaftskandidat Christoph Butterwegge, der Bundesregierung eine Politik der sozialen Spaltung vorgeworfen. »Acht Millionen Menschen leben von der Grundsicherung. Ein Armutszeugnis für so ein reiches Land«, sagte der Politiker der »Rhein-Neckar- Zeitung« am Mittwoch in Bezug auf den Armutsbericht. Die Regierung wirke der Armut nicht wirksam entgegen. »Die Politik sorgt dafür, dass die Vermögenskonzentration weiter besteht oder sogar zunimmt.«

Es ist nicht der erste Armutsbericht, bei dem unliebsame Passagen gestrichen werden. Besonders der letzte Armutsbericht aus dem Jahr 2013 sorgte für Aufregung. Dieser wurde unter der Ägide der damaligen Arbietsministerin Ursula von der Leyen (CDU) erstellt. In diesem Bericht wurden Sätze wie »Die Privatvermögen in Deutschland sind sehr ungleich verteilt« gestrichen, Sozialverbände kritisierten ihn schließlich als »peinliche Hofberichterstattung«.

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