Was macht eigentlich Gerhard?
Ich war neulich in Hannover, in der Landeshauptstadt Niedersachsens, die oft als Synonym für eine triste Metropole herhalten muss, und ich fragte meinen Gastgeber eher beiläufig, was unser Ex-Kanzler derzeit so treibe. Freund Frank meinte, es wäre für den alten Sozi-Strategen immer noch leicht, seine Stadt einfach nach ihm zu benennen - oder zumindest nach der weltberühmten Popband. Schon jetzt gebe es in Hannover eine nach den Scorpions benannte Einkaufszeile, eine Disko und einen Eishockeyverein.
Vom Rathausturm aus blickten wir von Garbsen bis Laatzen und von Isernhagen bis Altwarmbürren. Da: das Heizkraftwerk mit den alles überragenden Schornsteinen, die man liebevoll die warmen Brüder nennt; nett gelegen nahe eines Altbauviertels, in dem der Kindermörder Fritz Hamann lebte. Doch leider sei es schon lange her, dass es im Foyer des Rathauses eine schöne Ausstellung mit den vielen Modellbauansichten Hannovers zu sehen gab. Zur Millenniumszeit sei ein Besucher erschienen, mit einer Axt unter seinem grauen Gewande, und habe alle Modelle blitzartig auf den Stand vom April 1945 geschnitzt, samt den Cafés und Kabaretts aus allen Jahrzehnten.
Bei diesem Verrückten hatte es sich wohl um einen Kontrahenten des Kanzlers von 1998 bis 2005 gehandelt, mindestens aber um einen Braunschweiger. Der gute Gerhard dagegen, heute immerhin schon 72 Jahre alt, führte im Laufe seines lustigen Lebens viele Menschen zusammen. Anfang der 1980er habe er indirekt die erste Frauenpunkband Deutschlands gegründet, nämlich Hans-A-Plast; später erfand er aus Versehen die Chaostage und holte sie in seine Stadt.
Ansonsten platziere Gerhard seinen Lieblingsfußballverein bescheiden in der mittleren der drei Bundesligen. Doch wenn er wolle, der Stullenverteiler aus Laatzen, würden seine 96er der neue Serienmeister sein, wie einst Dynamo in der DDR. Stattdessen solidarisiere sich Gerhard weise mit vielen Vereinen, und trüge all deren Abzeichen am Mantel; er wäre so bunt wie ein russischer Offizier. Und überhaupt wolle die SPD ihre Volksnähe weiterhin manifestieren, indem sie auf der Flagge Niedersachsens das flotte Pferd durch eine gemütliche Kuh ersetzt.
Ja, der Gerhard, was mache der heutzutage eigentlich, der Uns Gerd? Der ist doch jetzt Aufsichtsratsvorsitzender bei Hannover 96. Was? Er ist ein Multiplikator. Ach so. Kein V.I.P. also, der seine Loge bei einem Radiosender mit dem Schlagerraten gewonnen hat, sondern ein bekannter Vermittler.
Freund Frank zeigte sich optimistisch, denn am letzten Montag haben die 96er auch das Spitzenspiel beim VfB Stuttgart gewonnen. Bald wären die Saisonkarten der Hannoveraner so begehrt wie die von Rasenballsport Leipzig. Ich rollte mit dem Zug vorsichtshalber zurück in meine graue Stadt.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.