Spiel mit Enttäuschungen und Erwartungen
Candida Höfer verlässt in ihrer aktuellen Ausstellung im »nbk« die bekannte Erfolgsspur
Berühmt geworden ist Candida Höfer mit Innenaufnahmen. Mit monumentalen Innenaufnahmen, muss man sagen. Sie setzte großartige Renaissanceräume wie den Palast der Herrscherfamilie von Mantua oder die Opernhäuser von Venedig und Mailand imposant in Szene. Sie entdeckte auch just zu der Zeit, in der die forschen Adepten des Digitalen jedem auf Papier gedruckten Zeichen den schnellen Tod prophezeiten, die Kathedralen des analogen Wissens: die Bibliotheken. Ob in Italien oder Frankreich, in England, in Osteuropa oder der alten Neuen Welt Amerika - zu vielen opulent ausgestatteten Lesesälen, die zugleich Archive des Wissens waren, reiste sie und verhalf ihnen noch einmal zu einem großen Auftritt in der Welt des Visuellen.
In Berlin ist von diesen Innenrauminszenierungen nur wenig zu sehen. Eine Schrumpfspur davon stellen die sich gegenüber angeordneten C-Prints Neuer Stahlhof Düsseldorf IV und V dar. Höfer löste die Spirale der geschwungenen Innentreppe dieser ehemaligen Industriekathedrale heraus und präsentiert sie nun als frei im Raum schwebende Schnecke, die in die Unendlichkeit weist. Das ist eine Transformation, die neugierig macht auf neue Werkgruppen der mittlerweile 72-jährigen Künstlerin; als Abkömmling der in Düsseldorf beheimateten Fotoschule der Neuen Sachlichkeit hat sie auch eine besondere Beziehung zu dieser Stadt.
In der neuen Ausstellung, mehrdeutig »Nach Berlin« übertitelt, liegt das Hauptaugenmerk aber auf noch kleineren Details als einer Treppe. Aufnahmen von Fußböden sind zu sehen - Betonoberflächen und Pflastersteine vor allem - die harte Gebrauchsspuren aufweisen. Kratzer und Verunreinigungen stehen im Mittelpunkt; sie wirken wie künstlerisch gesetzte Zeichen. Solitären Charakter gar haben einzelne weggeworfene Gegenstände wie Papiertaschentücher und Stofffetzen. Kleinmüll wird skulptural - dieser Verwandlungsprozess in den frischen Arbeiten aus dem Jahr 2016 lässt immerhin erahnen, welche Aufmerksamkeit auch für Kleinigkeiten erst für die enorme Wirkung der opulenten Großansichten verantwortlich war. Man ist eingeladen in den Werkstattprozess Höfers.
In gänzlich andere Welten entführt die Werkgruppe »Türken in Deutschland« aus dem Jahr 1979. Bilder von Obst- und Gemüseläden, kleinen Handelsfirmen und Cafés sieht man da, die in ihrem nüchternen, emotionsfreien Abgelichtetsein verblüffend stark an die Fotos jener Geschäfte erinnern, in denen der rechtsextreme NSU seine Mordserie verübte. Und es wird einem bewusst, dass die einfachen Läden in den Nebenstraßen und Vororten, die noch nicht von der normativen Gestaltung der Konsumzonen in den 1A-Lagen erfasst wurden, eben den Geist der 70er und 80er Jahre vermitteln. Anachronismen sind hier in Szene gesetzt. Interessant auch, dass Höfer, deren eigentliches Kennzeichen die Gestaltung menschenleerer Räume ist, in dieser Werkgruppe Menschen fotografiert.
Frauen in Kopftüchern, klar. Dazu Jugendcliquen, die wie aus Filmen von Rainer Werner Fassbinder herauskopiert wirken. Offenbar hatten beide einen ähnlichen Blick auf ihre damalige Umgebung, der Filmemacher aus dem linkshedonistischen Milieu und die die Menschen scheuende Fotografin, auf der lange das Label der »Höfer-Tochter« klebte; ihr Vater Werner Höfer war Moderator des ARD-Journalistenstammtischs »Internationaler Frühschoppen« und hatte sich zuvor in der NS-Zeit regimetreu publizistisch betätigt.
Der Unterschied der fast Gleichaltrigen - Fassbinder wurde ein Jahr später geboren als Candida Höfer - ist aber, dass der Filmemacher sich mit aller Leidenschaft in die Gestalten hineinbegab, während Höfer sorgsam die Außenhaut inspizierte und dem Betrachter offen ließ, bis in welche Tiefen er durch poröse Stellen dringen wollte.
»Nach Berlin« ist eine überraschend leise Ausstellung, eine, die sich dem schnellen Konsum durch unmittelbar sich einstellende Überwältigung entzieht. Das ist riskant. Und nbk-Direktor Marius Babias scheint sich im Einführungstext auch fast dafür entschuldigen zu wollen, dass seine Werkauswahl die Erwartungen so unterläuft. Von der unwillkürlich aufkommenden Enttäuschung gelangt man aber schnell zu einer neuen Aufmerksamkeit für die kleinen Dinge in den großen Inszenierungen. Ein durchaus schlau angelegter Wahrnehmungsparcours, für dessen Genuss aber unabdinglich ist, sich wenigstens aus der Erinnerung heraus der großen und bekannten Werke Höfers zu vergewissern.
»Candida Höfer: Nach Berlin«, bis zum 29. Januar im Neuen Berliner Kunstverein (nbk), Chausseestraße 128-129, Mitte
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