Lügenmeldungen über Kindesmissbrauch

Nach altbekanntem Strickmuster wird die Steglitzer Dreieinigkeitskirche denunziert

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: 3 Min.

Unfassbares geschieht an jedem Wochenende in Steglitz an der dortigen Dreieinigkeitskirche. Unter der Schlagzeile »Deutsche Spitzenpolitiker vergewaltigen und foltern Kinder - Zeugen werden beseitigt« ist im Internet zu lesen: »Jeden Sonnabend um 10 Uhr fahren dort weiße Kastenwagen vor, ohne Aufschrift, ohne Seitenfenster und heraus kommen kleine Kinder vom Babyalter bis zu Achtjährigen.« Bis zu 25 Kinder »werden in der Kirche ihren ›Käufern‹ übergeben und verschwinden anschließend in schwarzen Limousinen oder in dem Kellergeschoss der Kirche.« Die Polizei, so ist weiter zu lesen, sichere die Aktionen ab.

Was für ein gnadenloser Schwachsinn, wird jeder halbwegs normal Denkende sagen. Doch seit September verbreitet sich hartnäckig diese Gruselstory im Internet auf Seiten mit rassistischem oder verschwörungstheoretischem Hintergrund. Wer hinter dieser Falschmeldung steckt, ist schwer zu sagen, alle Quellenangaben beziehen sich auf Presseveröffentlichungen aus dem Jahr 2003.

Damals geisterte eine ähnlich gelagerte Schauergeschichte durch die Medien, und es war die Staatssicherheit der DDR, die am Pranger stand. Der Wahrheitsverbreiter zu jener Zeit: ein Wanja Götz, Geheimdienst-Deckname, wie er selbst sagte, »Grigori«. Da wurde, verkündete »Grigori«, ein schwunghafter, von der Stasi gesteuerter Kinderhandel betrieben und sodann hochrangige Politiker, Richter und Industrielle in der alten Bundesrepublik und Westeuropa mit kompromittierenden Aufnahmen erpresst. Gierig stürzten sich einige Medien auf die Geschichte. Die Stasi-Hysterie hatte Hochkonjunktur. Polizei und Justiz, auch die Stasi-Unterlagenbehörde dementierten. Die Sache war erstunken und erlogen.

Heute gibt es kaum Resonanz. Man hat sich daran gewöhnt, dass Falschmeldungen im Internet zum Alltag gehören. Auch in der Verleumdungskampagne zur Dreieinigkeitskirche taucht der Name Iwan Götz wieder auf, allerdings ohne konkrete Zeitangaben. Es soll so der Eindruck erweckt werden, es handle sich um eine aktuelle Götz-Aussage.

Wer ist dieser Iwan (Wanja) Götz, alias IM »Grigori«, alias Oberrabbiner Esra Götz, alias Reichsminister der Justiz, Dr. Iwan Götz? Äußerlich ein gesitteter Stoppelbartträger im gereiften Alter - mehr Väterchen Frost, weniger Iwan der Schreckliche. Seit vielen Jahren bekannt in der rechten, antisemitischen und Reichsbürger-Bewegung, entwickelte er absurdeste Geschichten über Gott und die Welt. Er leugnet den Massenmord an Juden, leugnet die Existenz der BRD und sieht finstere Mächte, die uns steuern und lenken. Zwischen 1998 und 2009 immer wieder verurteilt wegen Hehlerei, illegalem Waffenbesitz, Urkundenfälschung, Missbrauchs akademischer Titel, Betrugs, Volksverhetzung in zig Fällen.

Im Gefängnis ließ er sich als »Kriegsgefangener« bezeichnen. Ein psychiatrischer Gutachter bescheinigte ihm volle Schuldfähigkeit, er wanderte für fast drei Jahre in den Knast. 2014 tauchte er wieder auf, erzählte per Video über seine Gefängniserfahrungen. Ansonsten verhielt er sich unauffällig. Nun diese Steglitzer Horrorgeschichte, die viele Ähnlichkeiten mit seinen bisherigen Fantasien aufweist. Auf eine schriftliche nd-Anfrage an Iwan Götz, ob er der Urheber ist, hat er bisher nicht reagiert.

Pfarrer Gottfried Martens von der Dreieinigkeitskirche hat nach dem Auftauchen der Falschmeldung Strafanzeige gestellt. Doch die Polizei hat ihm wenig Hoffnung gemacht, den Urheber zu ermitteln, da der Server wahrscheinlich im Ausland steht.

Da sich die Kirche besonders um christliche Flüchtlinge müht, auch um Flüchtlinge, die zum christlichen Glauben konvertiert sind, Gottesdienste in Farsi, also für Hilfesuchende aus dem Iran und Afghanistan abgehalten werden, hat sich die Evangelisch-Lutherische Dreieinigkeitsgemeine sowohl im nationalistischen, rechten als auch im islamistischen Lager, die einen Übertritt zum Christentum als höchsten Verrat betrachten, erbitterte Feinde gemacht. Gut möglich, dass sich hier die verschiedenen Extremisten zu einer unheiligen Allianz vereinigen unter dem Motto: Irgendetwas wird schon hängen bleiben. Die Kirche in Steglitz, zu der 1400 Flüchtlinge gehören, wird, wie Pfarrer Martens erklärte, sich von solchen Schmutzattacken nicht beeindrucken lassen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.