Nicht lachen macht nichts
Über den zwielichtigen Erfolg politischer Satire im Fernsehen
Wer traurig ist, den kann es schmerzen - das Lachen der anderen. Und doch muss er darauf hoffen, dass die Befreiung von außen kommt. Obwohl man um die befreiende Wirkung des Lachens weiß, lacht niemand sich ohne fremde Hilfe in gute Stimmung. Wer einen Witz erzählt, lacht, wenn die anderen lachen. Ohne den Erfolg wird er seinen Witz selbst nicht lustig finden. Weil der entscheidende Lachauslöser fehlt: die Überraschung.
Lachen entsteht, wenn ein »früher zur Besetzung gewisser psychischer Wege verwendeter Betrag von psychischer Energie unverwendbar geworden ist, so dass er freie Abfuhr erfahren kann«. Meinte Sigmund Freud. Lachen als Entsorgung überschüssiger Emotionsenergien. Doch was heißt unverwendbar? Was, wenn die Entsorgung der unverwendeten Energie ausbleibt? Was ist die Ersatzhandlung für Lachen?
Damit sind wir bei der Politik. Die Verknotung unverwendbarer Emotionen ist dort ständige Daseinsform. Ewig nagt der Widerspruch zwischen politischen Zielen und realistischen Möglichkeiten. Und keine Möglichkeit zur eruptiven Entsorgung. Denn Überraschung ist der Tod von Politik, wenn man damit nicht den politischen Wechsel meint, und der ist selten lustig. In der Politik herrscht ein anderes als das befreiende Lachen vor. Das Lachen über die anderen. Kumpanenlachen. Sport ist es im Bundestag, Redner der politisch gegnerischen Fraktionen mit Zwischenrufen lächerlich zu machen. Legendär die Zahl der Zwischenrufe, die dem einstigen Abgeordneten Jörg Tauss im Jahr 2005 zugeschrieben wurden: 2736 Zwischenrufe in 185 Sitzungen.
Als 2005 die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Heide Simonis in Schleswig-Holstein ihre knappe, aber zuvor vermeintlich zuverlässig arrangierte Mehrheit von einer Stimme im ersten Wahlgang nicht erhielt, klopften sich die Abgeordneten von CDU und FDP auf die Schenkel vor Lachen. »Wir haben gefeixt«, erinnerte sich Simonis’ Gegenkandidat Peter Harry Carstensen (CDU) später. Ein Abgeordneter aus dem Dreierbündnis der Sozialdemokratin (mit Grünen und Südschleswigschem Wählerverband) hatte Simonis in der geheimen Wahl die Gefolgschaft verweigert. Nach dem zweiten Wahlgang (gleiches Ergebnis) lachten die Schwarz-Gelben immer noch lauthals. Nach dem dritten Versuch war die Miene Carstensens halb amüsiert, halb betreten. Und der vierte Fehlversuch kam. »Da werden Sie festgestellt haben, dass bei uns keiner mehr gefeixt hat. Weil das eine Situation war, die bei allen Betroffenheit auslöste«, sagte Carstensen später. Die Karriere von Simonis war in dem Moment zu Ende.
Vier quälende Fehlversuche, dann erst endete der Spaß. In der Politik herrscht ein langer Atem. Wer in diesem Metier auf Überraschung setzt, hat selten die Lacher auf seiner Seite. Kein Wähler stimmt gern der jähen Veränderung zu. Man weiß nie, was kommt - das ist das schlimmste Urteil über einen Politiker. Aber das Lebenselixier des Witzes. Politiker, über die man lacht, sind entweder am Ende, Karikaturen oder Genies. Beständigkeit und Überraschung gleichermaßen oder gar gleichzeitig? Gibt es nicht. Mit wenigen Ausnahmen.
Wer über Politik lachen will, muss das Fernsehen einschalten. Satireformate im Fernsehen boomen. Jedenfalls behauptet das eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung. Ob es zutrifft, ob nicht nur Comedy boomt, politisches Kabarett aber in den Hintergrund tritt, wurde nicht untersucht. Die immerhin ebenso interessante Frage, ob die »heute show« im ZDF »Quatsch oder Aufklärung« sei, beschäftigte den Autor, Bernd Gäbler. Quatsch oder Aufklärung? Natürlich Quatsch, natürlich Aufklärung, natürlich beides, natürlich Aufklärung durch Quatsch. Mal ganz ohne Quatsch: Es gibt Leute, die halten die Show von Oliver Welke für eine Nachrichtensendung. Kann sie dann noch Aufklärung sein?
Gäbler untersuchte die »heute show« exemplarisch für Satire im Fernsehen deshalb, weil sie dem »heute journal«, den vorher ausgestrahlten Nachrichten, inzwischen den Rang abgelaufen hat. Der emotionale Stau bei Jugendlichen ist ja ein Thema für sich. Oliver Welke sorgt für freie Abfuhr. Seine Sendung verzeichnet eine ungewöhnliche Resonanz unter jungen Leuten - die »heute show« ist für den »Kukident-Sender« ZDF damit so etwas wie ein Jungbrunnen.
Als eine Ansammlung von Volltrotteln werde die Politikerkaste von Welke und den Seinen dargestellt, meint hingegen übellaunig Hugo Müller-Vogg, einer der von Bernd Gäbler interviewten Fachleute zum Thema. »Wer nicht mehr von Politik weiß als das, was auf eine Smartphone-Seite passt, der fühlt sich bestens unterhalten.« Mit einem Wort: Die »heute show« fördere Politikverdruss und Politikerverachtung.
Dies ist freilich der Versuch, den Boten für die schlechte Nachricht verantwortlich zu machen. Wenn sich ausreichend viele Menschen von der Politik veralbert sehen, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis eine alberne Antwort gefunden ist. Als Begleitton zur Wut. Damit ist Satire gleichzeitig aufrührerisch wie systemerhaltend. Satire könne auch sedieren, räumt Bernd Gäbler ein. Und: Satire braucht Verbrüderung für ihren Erfolg. Wenn Edmund Stoiber 2005 als bayerischer Ministerpräsident in einer Talk-Runde dem Moderator entgegenhielt, dieser »rekrutiere« immer wieder auf irgendeinen Tatbestand, dann ist das ein typischer Gag für die »heute show« - die es damals allerdings noch nicht gab. Solche Sendungen rekurrieren (das war das Wort, das Stoiber meinte) immer wieder auf solche Fehler - kommen darauf zurück, reiten darauf herum. Aber nicht jeder würde darüber lachen können. Abgesehen davon, dass man das Wort kennen muss - Stoibers Anhängern wäre der Vorgang eher peinlich und Anlass zum Fremdschämen, während seine Gegner voller Schadenfreude ihre Vorbehalte bestätigt fänden.
Satire kann Meinung über Politik nicht verändern. Sie kann sie in Lachen verwandeln. Es lachen gemeinsam immer (mehr oder weniger) Gleichgesinnte. Satire ist antiautoritär. Aber nur was den Gegenstand angeht, das Objekt und Ziel des Spotts. Im Echo des Lachens übt sie auch disziplinierenden Zwang aus. Über einen Scherz lacht es sich richtig gut, wenn er die eigene Meinung bestätigt. Satire verwandelt sich leicht in das Bellen der Meute. Werkelt sie damit nicht an den Voraussetzungen jeder anständigen Diktatur? Lacht hier etwa jemand nicht?!
Das Mediensystem zerfällt, noch nicht sicher ist, ob die »heute show« für die bisherige oder eher die neue Medienwelt steht. Jeder Mensch kann mittlerweile ein Informationssystem um sich herum bauen. Eingeigelt in die Behaglichkeit der eigenen Meinung. Selbst das Lachen ist nur Kitt für die Bausteine im Bollwerk der selbsttragenden Informationen.
Die französische Nationalversammlung verbot einst das Lachen. Und schuf damit vielleicht erst die Grundlage für die moderne politische Satire. Denn wenn sich die Politik selbst auf die Schippe nimmt, hat es Satire schwer. So nimmt Gregor Gysi dem Welke die Arbeit ab: Im Bundestag argumentierte der für die LINKE gegen die Pläne zur Privatisierung von Autobahnen: Nach den Bundesstraßen wären die Landesstraßen und nach denen die kommunalen Straßen dran. Und alle Ebenen würden Maut erheben. Dann werde er, Gysi, alles daran setzen, die Straße zu kaufen, in der Wolfgang Schäuble wohnt. »Und dann wird es für Sie sehr teuer, wenn Sie nach Hause wollen.« Außerdem werde er die Straße umbenennen, »und das wird Ihnen am peinlichsten sein, dass Sie Zum Gysi Nr. 1 wohnen.«
Da kann Oliver Welke kaum noch einen draufsetzen. Eher geeignet wäre die einstige hessische SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti gewesen, als sie 2008 auf einer Wahlkampfveranstaltung ausrief: »Ich bin in Rüsselsheim als Sohn eines Opel-Arbeiters geboren!« Ob die »heute show« dem Zuschauer ein ernsthaftes Interesse an Politik verschafft, ist offen. Unerforscht ist auch die Wirkung auf verschiedene politische Lager. Beeinträchtigt die Verstopfung gewisser psychischer Wege bei Pegida eine freie Abfuhr von Energien womöglich? Vom »Geheimtipp für humorbewusste Polit-Insider« sei die »heute show« mittlerweile zum Mainstream geraten, konstatiert die Studie. Wahrscheinlich gilt sie manchem damit schon als Lügenpresse.
Dabei: Wenn die Kanzlerin eine Auspuffmutter genannt wird, um ihre interessengeleitete Politik gegenüber der Autoindustrie zu kritisieren, klingt das nicht so weit entfernt von den Rufen an der Dresdner Frauenkirche. In Dresden ist die freie Abfuhr überflüssiger Emotionen freilich nicht vom Lachen getrieben, sondern vom Hass. Die AfD ist das häufigste »Opfer« der »heute show« in der Parteienlandschaft, wie die Studie ermittelt. »Heiter bis völkisch«, so das Urteil der Welke-Truppe. Abfuhr ohne befreiende Wirkung. Welkes Lachtest bleibt zum Glück ohne schwere Folgen. Denn nicht lachen macht nichts. Außer, es bleibt im Halse stecken.
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