Trumps »Hexengebräu«

Washington und Moskau läuten eine gefährliche neue Runde des nuklearen Wettrüstens ein

  • Olaf Standke
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit ganz eigenen »Friedensbotschaften« sorgen Wladimir Putin und Donald Trump unmittelbar vor dem Weihnachtsfest für Schlagzeilen, denn es könnte eine gefährliche neue Runde des atomaren Wettrüsten drohen. So erklärte der russische Präsident laut Nachrichtenagentur Itar-TASS auf einem Treffen mit hochrangigen Armeevertretern in Moskau, dass nicht allein die konventionelle Schlagkraft der Armee auf ein höheres Niveau gebracht werden solle, um alle militärischen Bedrohungen neutralisieren zu können. »Wir müssen auch die strategischen Atomwaffen stärken, und dazu sollten wir Raketen entwickeln, die in der Lage sind, jedes gegenwärtige und künftige Raketenabwehrsystem zu überwinden«, so Putin. Gemeint sind die Systeme des NATO-Raketenschilds in Osteuropa, von denen sich Russland unmittelbar bedroht fühlt.

Und sein designierter Washingtoner Amtskollege, der sich gerade auf seinem Landsitz in Palm Beach mit ranghohen Vertretern des Pentagons und mit Auftagnehmern der Rüstungsindustrie getroffen hatte? Der tönte auch in dieser überaus heiklen Frage in seinem bevorzugten politischen Kommunikationskanal, also via Twitter: »Die USA müssen ihre nuklearen Fähigkeiten erheblich verstärken, bis die Welt in Sachen Atomwaffen zur Vernunft kommt.«

Das nun ist so sehr Holzhammer und stellt lax Grundprinzipien Washingtoner Außenpolitik der jüngeren Vergangenheit in Frage, dass sich Trumps Team anschließend um Relativierung bemühte. Schon in Wahlkampfzeiten hatte der Rechtspopulist mit unbedachten Äußerungen Zweifel daran genährt, dass man ihm den berühmten Koffer mit den nuklearen Codes anvertrauen könne. Im Nachrichtensender CNN wurde am Donnerstag (Ortszeit) sogar gefragt, ob der nächste Kalte Krieg wohl mit solch einem Tweet beginnen werde.

Trumps Sprecher Jason Miller erklärte eilig, der Präsident in spe habe ausschließlich auf die Gefahr durch Kernwaffen in den Händen von Terroristen sowie instabilen und Schurkenstaaten hinweisen wollen, was unbedingt verhindert werden müsse. Deshalb sei es notwendig, das eigene Abschreckungspotenzial zu verbessern und zu modernisieren, »als entscheidenden Weg, Frieden durch Stärke zu erzielen«. Doch David Gergen, der schon unter den republikanischen Präsidenten Nixon und Reagan im Weißen Haus gearbeitet hat, bleibt dabei: »Man sollte mit einem der komplexesten, gefährlichsten und sensibelsten Themen für einen US-Präsidenten, und das sind Atomsprengköpfe, die die Welt zerstören können, präzise und nachdenklich umgehen. Das kann man nicht in 140 Zeichen.« Trump, Twitter und Atomwaffen gemischt, das ergebe ein »Hexengebräu«.

Wie Russland sind auch die USA als Signatarstaaten des Atomwaffensperrvertrages völkerrechtlich zur nuklearen Abrüstung verpflichtet. Doch trotz Reduzierungen nach Ende des Kalten Kriegs besitzen sie und die sieben weiteren Atommächte Großbritannien, Frankreich, China, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea noch immer 15 395 Atomsprengköpfe - lediglich 450 seien im vergangenen Jahr verschrottet worden, so die jüngste Analyse des renommierten Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI. 93 Prozent der Kernwaffen befinden sich in den russischen und US-amerikanischen Arsenalen.

Obwohl Moskau und Washington 2010 den neuen Vertrag »New START« zur Abrüstung von Atomsprengköpfen und strategischen Trägersysteme unterzeichnet haben, verkleinerten sie ihre Bestände seitdem nur unwesentlich.

Anfang des Jahres waren nach Angaben der SIPRI-Wissenschaftler weltweit sage und schreibe 4120 Atomwaffen operativ einsetzbar, eine nach wie vor wahnwitzige Overkill-Kapazität, die das Leben auf der Erde gleich mehrfach vernichten könnte. Die meisten davon, knapp 2000, gehören den Vereinigten Staaten; Russland verfügt gegenwärtig über rund 1800 stationierte Sprengköpfe.

Trotzdem wurden hier wie dort extrem teure Modernisierungsprogramme aufgelegt. Die USA etwa wollen ihre Arsenale allein bis 2024 für fast 348 Milliarden Dollar aufrüsten; alle Maßnahmen zusammengenommen könnten langfristig bis zu einer Billon Dollar kosten - etwa für neue Interkontinentalraketen, Atom-U-Boote, Langstreckenbomber, luftgestützte Marschflugkörper und Bomben, die präziser treffen sollen als ihre Vorgänger und auch in Deutschland stationiert werden dürften. Dieser von der Obama-Regierung angeschobene Modernisierungsplan stehe »in krassem Gegensatz« zum Versprechen des Präsidenten, »die Anzahl der Nuklearwaffen und deren Rolle in der nationalen Sicherheitsstrategie der USA zu verringern«, erklärt SIPRI-Experte Hans Kristensen.

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