Seine Porträts sind ein Glücksfall
Das Museum Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe Darmstadt zeigt Werke des Emigranten Ludwig Meidner
Die letzte große Ausstellung zum herausragenden Porträtisten Ludwig Meidner (1884-1966) fand vor 15 Jahren in Darmstadt statt. Jetzt richtet das Institut Mathildenhöhe Darmstadt, wo zu den über 300 Zeichnungen erhebliche Teile des Nachlasses lagern und wissenschaftlich aufbereitet werden, die Ausstellung »Ludwig Meidner« aus. Es ist ein Glücksfall, dass Meidner, der von 1939 bis 1953 im Londoner Exil lebte, seine Werke, Schriften und Briefe retten konnte. Die Exiljahre verbrachte er in finanziell prekären Verhältnissen und malte und zeichnete nur wenig. Nach seiner Rückkehr wohnte er an verschiedenen Orten in Hessen, zuletzt in Darmstadt, wo die Stadt dem jüdischen Heimkehrer eine Atelierwohnung zur Verfügung stellte.
Allein die nach intensiver Forschungsarbeit erstmals identifizierten Personen auf den Blättern aus dem großen Fundus von Porträts lohnen eine Reise nach Südhessen. Hier sind Porträts von rund 30 Personen zu sehen, darunter die erstmals die nun identifizierten Personen in den Zeichnungen mit Feder, Tusche, Bleistift und Kreide. Dazu gehören der Berliner Rabbiner und Gelehrte Leo Baeck (1873-1956), der sozialdemokratische Revolutionär Karl Liebknecht (1871-1919) und der Schriftsteller Joachim Ringelnatz (1883-1934). Meidner beherrschte die genannten Techniken ebenso virtuos wie die Ätz- und Kaltnadelradierungen und die Aquarellmalerei.
Vom Künstler Meidner kursiert die höchst plausible Legende, dass er jeden und jede, die sein Atelier betraten oder die er im Künstlerlokal »Café des Westens« in Berlin kennenlernte, zeichnete. Dazu gehören Künstlerfreunde ebenso wie Dichter und Musiker. Vor dem Ersten Weltkrieg näherte sich Meidner dem Expressionismus und schuf groteske Stadtlandschaften mit Titeln wie »Straßenbild mit betrunkenen Häusern und Bäumen« (1913), d.h. aus der Senkrechten gekippten Gebäuden. Nach 1920 treten die expressionistischen Züge in seinen Werken zurück zu Gunsten von betont realistischen.
Aber seine Stärke waren Literatenporträts - allen voran das Meisterwerk Max Hermann Neiße (1886-1941), den er öfter zeichnete und porträtierte und damit ein regelrechtes Psychogramm des Schriftstellers schuf. Meidner porträtierte auch Jakob van Hoddis, René Schickele, Franz Werfel und viele, deren Namen völlig vergessen sind. Im Unterschied zum Schriftsteller Ernst Wilhelm Lotz (1890-1914) meldete sich Meidner 1914 nicht als Kriegsfreiwilliger, sondern wurde erst 1916 eingezogen und arbeitete vornehmlich in einem Gefangenenlager als Übersetzer. Dem am 26. September 1914 in Frankreich gefallenen Freund Lotz widmete er eine anrührende Zeichnung.
In der Berliner Künstlerszene lernte Meidner auch den Sozialrevolutionär und Antimilitaristen Franz Pfemfert (1879-1954) kennen. Für dessen Zeitschrift »Die Aktion« lieferte er Zeichnungen - darunter eine von einem wüsten Schlachtfeld, das er in Wirklichkeit nie gesehen hat. Meidner verband in seiner Person den strenggläubigen Juden und den politisch engagierten Künstler. 1920 lancierte er den Aufruf »An alle Künstler, Dichter, Musiker«, in dem es hieß: »Denn es geht um den Sozialismus - das heißt: um Gerechtigkeit, Freiheit und Menschenliebe - um Gottes Ordnung in der Welt.« 1919 zeichnete Meidner das Titelblatt zur Zeitschrift »Das Tribunal. Hessische radikale Blätter« des Sozialdemokraten und späteren Widerstandskämpfers Carlo Mierendorff (1897-1943), das in der Zuspitzung ihres Strichs an Otto Dix erinnert.
Zu den von Meidner porträtierten Personen auch aus der Politik gehörten Felix Stössinger» (1889-1954), Redakteur der sozialdemokratischen Zeitschrift «Sozialdemokratische Monatshefte», und Johannes R. Becher, Kommunist und späterer DDR-Kulturminister (1891-1958), die wie viele jüdische Intellektuelle, Schauspieler und Künstler (Max Reinhardt, Theodor Däubler, Karola Bloch, Wolf Bergmann und viele andere) ins Exil gehen mussten.
Keine Person hat Meidner öfter porträtiert als Tania, von der man außer ihrem Vornamen bis heute nichts herausfinden konnte. Die Ausstellung widmet Tania einen eigenen Raum mit 18 teilweise großformatigen Zeichnungen und Radierungen, die eine traurige und zerbrechliche Frau aus unterschiedlichen Perspektiven zeigen - der beeindruckende Höhepunkt der Ausstellung.
Meidner zeichnete auch Else Meyer (1901-1987), die ab 1927 mit Ludwig Meidner verheiratet war und ihrem Mann ins Exil, aber nicht in die Bundesrepublik zurück folgte. Else Meyer war selbst Künstlerin und ihre Selbstporträts stehen denen ihres Mannes nicht nach, aber sie litt unter mangelnder Anerkennung und Eigenheiten des strenggläubigen und sparsamen Ehemannes. Parallel zur Ausstellung auf der Mathildenhöhe in Darmstadt zeigen das jüdische Museum Frankfurt, das Museum Giersch (Frankfurt), das Stadtmuseum Hofheim und das Kunst Archiv Darmstadt e.V. Arbeiten von und über Ludwig Meidner.
Ludwig Meidner: «Begegnungen», bis zum 5. Februar im Museum Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe, Olbrichweg 13a, 64287 Darmstadt
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