Geldumtausch ohne Scheine
Der große Schlag des indischen Premiers Modi steckt im Alltag fest
In Indien trifft der Geldumtausch auf die üblichen Schwierigkeiten. Doch ein Aufstand gegen Premier Modi ist trotzdem nicht zu erwarten.
Von Gilbert Kolonko, Kolkata
Am Bahnhof Sealdah in Kolkata, wie Kalkutta offiziell genannt wird, stehen die Menschen in zwei langen Reihen Schlange. Aber nicht um Geld abzuheben, sondern um ein Ticket für einen Regionalzug zu erwerben. Hier fragt sich schon lange kein Inder mehr, warum bei 20 Millionen Regierungsangestellten, die anderen zehn Schalter geschlossen sind. Ein Mittvierziger zeigt auf drei ältere Herren, die in eine Unterhaltung vertieft sind: «Das ist der Grund, warum wir immer noch ein Drittweltland sind.»
Warteschlangen vor Banken und Geldautomaten gehören ebenso zum indischen Alltag - auch rund sechs Wochen nach der überraschenden «Bargeldreform». Premierminister Narendra Modi ließ im November 88 Prozent des Bargeldes aus dem Verkehr ziehen, indem er alle 500- und 1000-Rupien-Noten, umgerechnet 7 und 14 Euro, für ungültig erklärte.
Im Bundesstaat Bengalen hat es über drei Wochen gedauert, bis die Banken mit neuen 500-Rupien-Noten beliefert wurden. Bis heute sind nicht alle Geldautomaten auf die Ausgabe der neuen Scheine umgestellt. Wegen Mangels an Bargeld erleidet gerade das Kleingewerbe in Indien Umsatzeinbußen von bis zu 80 Prozent - nur etwa 10 Prozent der indischen Geschäfte verfügen über ein Kartenlesegerät. Kleinbauern klagen über große Probleme, sich mit Saatgut zu versorgen - der größte Teil der etwa 250 Millionen erwachsenen Inder ohne Bankkonto lebt auf dem Land.
600 Kilometer nördlich in der Teehochburg Darjeeling funktioniert der Geldautomat einer privaten Bank - er wirft einzig 2000-Rupien-Noten aus. «Nicht nur Touristen haben kein Bargeld, um bei mir einzukaufen, sagt Teehändler Pakhrin: »Ich selbst habe Schwierigkeiten, meine Einkäufe auf dem Markt zu bezahlen.« Auf dem Chowrasta Platz, dem Treffpunkt Darjeelings, ist der Geldautomat mittlerweile 24 Stunden am Tag geschlossen - die Warteschlange soll die Touristen nicht auch hier an den derzeitigen Schlamassel erinnern.
Zwar haben dieser Tage 100 kleine Fabrikbesitzer im Bundesstaat Punjab ihre Schlüssel demonstrativ Modi übergeben, da sie sich nicht mehr in der Lage sehen, ihre Betriebe aufrecht zu erhalten. Ansonsten hält sich Aufruhr in Grenzen. Die Zeiten, in denen die kommunistische Partei oder die Kongress Partei mal eben ein paar Hunderttausend Demonstranten heranpfeifen konnten, sind vorbei. Beide sind durch Korruptionsskandale in Misskredit geraten.
Ein Geschäftsmann aus Kolkata meint: »Ja, auch mich hat Modis Aktion getroffen. Aber was unsere etablierten politischen Köpfe zu bieten haben, wissen wir. Modi hat es verdient, dass wir ihn mindestens bis zum Ende seiner Amtszeit zeigen lassen, was er bieten kann.« Der genannte hatte kurz nach seinem Coup verlauten lassen, dass die Bevölkerung nur 50 Tage Geduld haben müsse.
Doch schon jetzt ist sonnenklar, dass Modi den Geldumtausch dilettantisch geplant hat. Hinter vorgehaltener Hand sprechen auch Regierungsangestellte schon von einem halben Jahr, bis an der Bargeldfront Ruhe einkehre. Offensichtlich ist mittlerweile auch, dass Modis angebliches Ziel, des Schwarzgeldes habhaft zu werden, fehlgeschlagen ist. Das hätte er vorher wissen können. Daten des Finanzministeriums aus den Jahren 2006 bis 2012 zeigen, dass Bargeld nur etwa vier bis sieben Prozent des Schwarzgeldes in Indien ausmacht. So tut die Modi Regierung mittlerweile so, als sei das eigentliche Ziel des Rupien-Coups die Digitalisierung des Geldsektors gewesen.
Dass Indien schon vor Modi Fortschritte gemacht hat, zeigt sich bei meiner Einreise von Bangladesch nach Indien. Während vier bangladeschische Beamten am abgelegenen Grenzübergang in Bangla Banda eine knappe Stunde brauchen, um meine Daten in den Computer einzugeben, benötigt eine junge indische Beamtin ein paar Wimpernschläge. Warum junge kompetente Beamte in Indien immer noch eine Minderheit sind, obwohl sich bis zu 10 000 junge Inder um eine Regierungsstelle bewerben, wäre eine Frage, deren Beantwortung Indien wohl eher in die Zukunft führen könnte, als Modis Rupien-Coup.
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