Freiheit als Experiment
Vier niederländische Gemeinden beginnen 2017 mit einem Experiment, das zeigen soll, ob Sozialhilfeempfänger schneller Arbeit finden, wenn sie sich an weniger Regeln halten müssen. Unbegrenzt hinzuverdienen dürfen sie nicht. Diesem Teil des Experiments, der vergleichbar wäre mit dem Bedingungslosem Grundeinkommen, hat die Regierung des liberalen Ministerpräsidenten Mark Rutte einen Riegel vorgeschoben.
Geben Sozialhilfeempfänger sich weniger Mühe, einen Job zu finden, wenn sie mehr Freiheiten haben? Oder wirkt das motivierend? Was, wenn sie sich an gar keine Auflagen zu halten haben und neben den Sozialleistungen einem unbegrenzten Nebenerwerb nachgehen dürfen? Diese Fragen wollten die Wissenschaftler der federführenden Universität Utrecht - inspiriert durch die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens - untersuchen.
Die Ausnahmegenehmigung der Regierung wurde nach über einem Jahr im September zwar erteilt, geht aber weniger weit, als Wissenschaftler und Gemeinden gehofft hatten. Sozialhilfebezieher, die am Experiment teilnehmen, dürfen nicht mehr als 199 Euro pro Monat hinzuverdienen. Mehr sei nicht möglich, sagte Staatssekretärin Jetta Klijnsma. Sie fürchtet, dass die Solidarität, auf der das soziale Sicherungssystem basiert, unter Druck geraten würde, wenn eine Gruppe mehr Freiheiten genießt als andere.
Wie das Vertrauensexperiment nun genau durchgeführt wird, ist unklar. Fest steht, dass die Teilnehmer der zweijährigen Testreihe in Utrecht in Gruppen eingeteilt werden, denen unterschiedliche - oder in einem Fall gar keine - Bedingungen gestellt werden. Eine Gruppe erhält etwa einen Bonus, wenn sie freiwillig Arbeit verrichtet, eine andere bekommt den Bonus vorab, verliert ihn aber, wenn die Teilnehmer sich nicht an die Bedingungen halten.
Die Wissenschaftler untersuchen, was innerhalb der Ausnahmeregelung machbar ist. Schlüsse auf die Effekte eines bedingungslosen Grundeinkommens lassen sich auf Grund des Versuchsaufbaus nun aber kaum noch schließen, meint Ökonom Loek Groot, Professor von der Universität Utrecht. Die Effekte eines Grundeinkommens seien aber ohnehin kaum in Feldexperimenten untersuchbar, da man nie wisse, was passieren könnte, wenn die gesamte Bevölkerung ein Grundeinkommen bekäme.
Das Experiment soll nun vor allem zeigen, was Menschen mehr motiviert: strenge Regeln oder Freiheit. Erst 2015 wurde ein Gesetz erlassen, das Sozialhilfeempfängern strengere Vorgaben auferlegt und Gegenleistungen fordert. Die Vorgaben dürfen die Gemeinden bestimmen. Rotterdam etwa verpflichtet Sozialhilfeempfänger zu einer »Gegenleistung« in Form unbezahlter Arbeit. Utrecht und damit immer mehr Gemeinden vermutet aber, dass die vielen Regeln und Sanktionen auch kontraproduktiv sein könnten. So kamen in einem Kindergarten in Israel mehr Eltern zu spät, nachdem diese Verfehlung mit einer Geldbuße bestraft wurde. Ein milderer Ansatz gegenüber Leistungsbeziehern könnte zudem billiger für die Gemeinden sein.
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