Ausreise ohne Alternative
Immer mehr Asylsuchende ohne Bleibeperspektive werden zur Rückkehr gedrängt
Berlin. Vor fast genau zehn Jahren wurde der Begriff »freiwillige Ausreise« von einer Jury aus Sprachwissenschaftlern zum Unwort des Jahres gekürt. Verschleiert werden solle, dass viele Schutzsuchende dazu gedrängt werden, die Bundesrepublik wieder zu verlassen, weil sie ansonsten abgeschoben werden. Trotzdem hat sich die euphemistische Umschreibung etabliert. So auch in der »Süddeutschen Zeitung«, die nun vermeldete, dass dieses Jahr nach Schätzungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gut 54 000 Menschen mit finanzieller Unterstützung Deutschland verlassen hätten, etwa 18 500 mehr als im Vorjahr. Die meisten von ihnen stammten vom Westbalkan und hatten nur geringe Chancen auf ein dauerhaftes Bleiberecht. Es handelte sich hauptsächlich um Albaner, Serben und Kosovaren. Dass sich darunter zahlreiche in ihrer Heimat diskriminierte Roma befanden, war in dem Münchner Blatt nicht zu erfahren.
Stattdessen wurde eine »kaum überschaubare Fülle von Angeboten für freiwillige Rückkehrer« gelobt, die etwa Existenzgründern zugute kämen. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums seien dieses Jahr 21,5 Millionen Euro bereitgestellt worden, also etwa 400 Euro pro Person. Südosteuropäer gehen weitgehend leer aus. Laut BAMF wird die freiwillige Rückkehr in europäische Drittstaaten, aus denen die Einreise ohne Visum möglich ist, vom Bund nicht gefördert. Es werden keine Starthilfen oder Reisebeihilfen gewährt. Lediglich Reisekosten können übernommen werden. Nichtsdestotrotz werden »freiwillige Ausreisen« parteiübergreifend und von Vertretern der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl im Vergleich zu den insgesamt selteneren Abschiebungen als die humanere Methode gelobt. Auch die sprachliche Kritik ist weitgehend verstummt. avr Seite 5
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.