Mittelstand wünscht sich Schwarz-Gelb zurück
Lobbyisten: Neue Bundesregierung soll Steuern senken und mehr investieren
Mario Ohoven ist ein Verkäufer. Deswegen lädt der Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW) ausgerechnet zwischen Weihnachten und Silvester zu einer Pressekonferenz nach Berlin, wo er sich sicher sein kann, dass möglichst viele Journalisten seiner Einladung folgen und über seine Forderungen berichten werden, weil es sonst kaum innenpolitische Themen gibt. Und so sieht er die AfD auch aus den Augen eines Verkäufers als eine Protestpartei an, die sich als solche »ganz hervorragend« verkaufe: »Glauben Sie mir, wenn morgen die Flüchtlinge nicht mehr da sind, hat die AfD übermorgen einen anderen Protest.« Die Partei werde nicht so schnell abgeschafft wie andere Parteien.
Immerhin sechs Prozent der von ihm vertretenen Unternehmer wünschen sich ab 2017 eine Regierungsbeteiligung der Rechtspopulisten. Dies ergab die aktuelle Unternehmerbefragung seines Verbandes, an der 2800 Firmen teilgenommen haben. Doch die meisten Chefs halten von rechtem Protest wenig und wünschen sich Altbewährtes zurück: 46 Prozent hoffen auf eine schwarz-gelbe Bundesregierung nach den kommenden Wahlen. 13 Prozent finden, diesem Bündnis würden ein paar grüne Tupfer gut tun und plädieren für eine Jamaika-Koalition aus Union, Grünen und FDP. Die aktuelle Koalition finden nur noch zwölf Prozent aller Unternehmer gut.
Dabei ist der Mittelstand eine nicht zu unterschätzende Stimme. Über 270 000 Firmen vertritt Ohovens Lobbyverband eigenen Angaben zufolge, die für rund neun Millionen Arbeitsplätze stehen. Folglich sieht man sich gerne als »Wachstums- und Jobmotor« in Deutschland und formuliert seine Forderung an die Politik ähnlich selbstbewusst. »Ich erwarte von einer neuen Bundesregierung«, sagt Ohoven, dass sie »investitionsfreundliche Rahmenbedingungen schafft«.
Was der gelernte Banker für die von ihm vertretenen Unternehmen verlangt, ist so etwas wie die neoliberale eierlegende Wollmilchsau als neue Bundesregierung. 80 Prozent der befragten Unternehmen wollen weniger Bürokratie, 57 Prozent weniger Steuern sowie Abgaben und 48 Prozent meinen, dass mehr Geld in die Verbesserung der Infrastruktur gesteckt werden soll.
»Deutschland schiebt derzeit einen Investitionsstau von 100 Milliarden Euro vor sich her«, warnt der Cheflobbyist der hiesigen Mittelständer. Statt im Wahlkampf neue soziale »Geschenkpakete« zu schnüren, sollen die Parteien die Unternehmen mit der kompletten Abschaffung der Erbschaftssteuer sowie einer steuerlichen Förderung von Forschungsausgaben und Wagniskapital bescheren. So wollen 60 Prozent der Unternehmer ihren Betrieb künftig abgabenfrei vererben können, 92 Prozent der Firmenbesitzer stimmen den sonstigen Forderungen ihres Lobbyverbandes zu. Der Investitionsstau soll also gelöst werden, der Allgemeinheit dafür mehr Geld geben will man nicht.
»Deutschland hat kein Einnahme- sondern ein Ausgabeproblem«, meint dazu Ohoven. Wo das Geld für Breitbandausbau und neue Straßen herkommen soll, sagt der Mittelstandspräsident auch gleich: Sozialausgaben machten derzeit über 50 Prozent des Bundeshaushaltes aus. »Das darf definitiv so nicht weitergehen«, fordert Ohoven neue Einschnitte im Sozialsystem.
Geht es nach der Mehrzahl der Mittelständer, sollen solche Einschnitte auch im restlichen Europa mit aller Härte durchgedrückt werden. Obwohl die Eurokrise derzeit nicht mehr akut ist, fordern weiterhin 68 Prozent der befragten Mittelständler, Griechenland aus der Währungsunion rauszuschmeißen, wenn es seine Reformzusagen nicht einhält.
Letztlich ist die wirtschaftliche Lage keineswegs so dramatisch, wie man beim Forderungskatalog der Mittelständer vermuten könnte. Im Gegenteil: Rund 62 Prozent der Unternehmer rechnen mit einem anhaltenden Aufschwung, die eigene Geschäftslage beurteilen zwei Drittel als gut oder sehr gut. 41 Prozent planen sogar, in den kommenden zwölf Monaten neue Arbeitsplätze zu schaffen und mehr als ein Drittel will mehr investieren.
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