Die Sorben und die Staatssicherheit

Der Historiker Timo Meškank wälzte Akten, machte aber aus seinen Forschungen kein spannendes Buch

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 3 Min.

Vor Funktionären nehme Jakob Bräuer aus Ralbitz »in allen politischen Fragen eine neutrale Haltung ein«. Doch vor Kollegen und Dorfbewohnern hetze der Ortsvorsitzende des sorbischen Verbandes Domowina »gegen unsere Ordnung«. Darüber berichtete Informant Georg Groß alias »Fichte« dem DDR-Ministerium für Staatssicherheit (MfS) am 18. März 1953. Auf der Domowina-Versammlung sechs Tage zuvor habe Bräuer gesagt: »Weil Herr Stalin gestorben ist, bitte ich die Anwesenden, sich von den Plätzen zu erheben.« Informant »Fichte« kommentierte: »Er wollte bewusst nicht den ruhmvollen Namen ›Genosse, Führer der Werktätigen oder unser Freund‹ gebrauchen.«

Timo Meškank zitiert das in seinem neuen Buch »Sorben im Blick der Staatssicherheit«. Im Vorwort schreibt er: Nach der Wende sei es in der Domowina zu keinem Elitenwechsel gekommen, so dass bis heute das Interesse an der Aufarbeitung gering sei. Meškank benennt hauptamtliche und inoffizielle Mitarbeiter, entschloss sich aber wegen rechtlicher Bedenken, »in sechs Textpassagen Personen, die heute noch im sorbischen Kulturleben aktiv sind, nicht namentlich zu nennen«.

Ein spannendes Enthüllungsbuch hat der Autor nicht vorgelegt. Zunächst gibt es knapp 80 Seiten lang ermüdende Erläuterungen zur »Installierung des totalitären Regimes« und zur »Staatssicherheit als Herrschaftsinstrument der SED«. Erst danach wird es langsam interessanter, aber trotzdem kein Lesevergnügen. Das liegt auch daran, dass viele Fälle angeschnitten, jedoch selten genauer beleuchtet werden. Aber genau das wäre wünschenswert gewesen, wenn etwa der Komponist Detlef Kobjela als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) »Franz Schubert« auftaucht oder wenn es vom herausragenden Schriftsteller Jurij Brězan (1916-2006) heißt, das MfS habe zeitweise mit dem Gedanken gespielt, Brězan anzuwerben. Allerdings: Ob er überhaupt gefragt wurde, und was er geantwortet hat, lässt sich aus den Akten nicht rekonstruieren.

Die Forschung ist zu dem Schluss gelangt, dass er kein IM gewesen sei. Das MfS hatte zunächst eine eigene Linie für Sorbenfragen, später nicht mehr.

Die Sorben waren offensichtlich keineswegs besonders im Visier der Staatssicherheit, sondern sie sind nicht mehr und nicht weniger beargwöhnt und beobachtet worden als andere Bürger auch. Anfangs gab es die Befürchtung, die Sorben möchten eine Abtrennung ihres Siedlungsgebiets, eine Angliederung an Polen oder die Tschechoslowakei oder ein autonomes Gebilde. Solche letztlich fruchtlosen Überlegungen hat es nach dem Zweiten Weltkrieg tatsächlich gegeben. Das spielte aber fürderhin keine Rolle mehr. Während das MfS einerseits gegen solche Bestrebungen ankämpfte, bekämpfte es andererseits auch antisorbische Ressentiments in der deutschen Bevölkerung.

Eine Herausforderung waren die Sorben ihrer slawischen Sprache wegen, die dem MfS ein Rätsel war, solange es keine Sorben in seinen Reihen hatte. 1952 übernahm das MfS den Volkspolizisten Oskar Worrack und 1955 verpflichtete sich Hans-Joachim Thielemann. Beide konnten übersetzen und wurden Oberstleutnant. Höher hinauf schaffte es im Ministerium kein anderer Sorbe.

Timo Meškank: Sorben im Blick der Staatssicherheit, Domowina-Verlag, 496 Seiten, 29,90 Euro

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