Friedlich zu Fuß nach Aleppo

Die Polin Anna Alboth organisierte einen Marsch gegen den Krieg in Syrien

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

Zu Fuß von Berlin nach Aleppo. Ist dieser große Plan einer kleinen Frau nicht ein bisschen verrückt? »Sehr verrückt«, sagt Anna Alboth und lächelt zuversichtlich. Die 32-jährige Journalistin stammt aus Polen und lebt seit neun Jahren in der deutschen Hauptstadt. Sie wollte sich nicht mit dem Gedanken abfinden, man könne nichts tun gegen den Krieg und das Leid der Zivilbevölkerung in Syrien. Vor vier Wochen hatte sie die Idee eines Friedensmarsches über die Balkanroute, auf der die Flüchtlinge gekommen sind, nur in umgekehrter Richtung. Möglichst viele Menschen, vielleicht Tausende, sollten sich anschließen. Davon träumte sie.

Dreieinhalb Monate Zeit sind für die mehr als 3000 Kilometer einkalkuliert. Fast 3000 Menschen haben sich dafür angemeldet, wenigstens ein Stückchen mitzulaufen. Es geht auch spontan. Einige haben sich vorgenommen, die gesamte Strecke zurückzulegen. Hunderte sind am zweiten Weihnachtsfeiertag in Berlin aufgebrochen. Am ersten Abend erreichte der Zug mit Mahlow das erste Etappenziel in Brandenburg. Weiter ging es über die Stationen Zossen, Teupitz, Glashütte, Luckau, Calau und Großräschen bis Ruhland, das am Montagabend erreicht war. An diesem Dienstag soll es weiter gehen über die Landesgrenze nach Thiendorf in Sachsen und so immer weiter durch Tschechien, Österreich, Slowenien, Kroatien, Serbien, Mazedonien und Griechenland bis in die Türkei, wobei fraglich ist, ob die syrische Grenze dann überhaupt überschritten werden darf und kann.

Im Museumsdorf Glashütte zeigt das Thermometer am Freitag um 9 Uhr vier Grad minus an. Wiesen und Felder sind mit Raureif überzogen, aber immerhin kommt die Sonne raus. In den vergangenen Tagen mussten die Leute durch Nieselregen und sogar schweres Gewitter laufen. Das war viel unangenehmer als die trockene Kälte. Doch niemand klagt. »Die Flüchtlinge müssen auch bei diesem Wetter laufen, und sie haben oft keine warme, regenfeste Kleidung und keinen sicheren Schlafplatz für die Nacht«, sagen Männer und Frauen wie Łukasz Schodnicki. Der 47-Jährige ist in Zossen dazugestoßen und will vorerst nur bis Luckau mitlaufen. Doch im Frühjahr, wenn er wieder Zeit hat, möchte er sich auf dem Balkan noch einmal beteiligen.

Dort ist Schodnicki vor genau einem Jahr schon gewesen, an der serbischen Grenze zu Mazedonien. Als freiwilliger Helfer der schweizerischen Organisation »Border free« (Grenze frei) hat er Flüchtlinge beköstigt, beherbergt und betreut. Manchmal konnten die Geflüchteten mit Zügen oder Bussen fahren, manchmal mussten sie hunderte Kilometer zu Fuß zurücklegen, erzählt Schodnicki. Er stammt auch aus Polen, lebt inzwischen in Thüringen.

Vielleicht liege es daran, dass Alboth Polin ist, so vermutet er, dass sich anfangs vornehmlich Polen beteiligt haben. Doch Schodnicki hat genauso Menschen aus Armenien und Moldawien getroffen. 14 Nationen sind dabei, mit der Zeit immer mehr Deutsche, nicht zuletzt Anwohner, die beeindruckt sind und den Friedensmarsch für ein Stündchen begleiten.

Darunter Kräuterfrau Bärbel Hausmann aus Glashütte, die rund um das Museumsdorf Kräuterwanderungen mit ihrer Ziege Suuki für Urlauber und Ausflügler anbietet. Die Ziege stapft auch jetzt mit, sehr zur Freude der anwesenden Kinder. Großartig, aber auch mutig findet Bärbel Hausmann die Aktion. Wenn sie könnte, würde sie viel länger mitmachen, versichert sie.

Es geht auf einer schmalen Asphaltstraße durch den Wald. Ein Polizeiauto fährt vorneweg und eins hinterher, um den Zug abzusichern. Eigentlich wollten Alboth und ihre Mitstreiter durch Golßen nach Luckau, doch die Beamten geben freundlich einen anderen Weg vor, weil es sonst sehr lange über eine stark befahrene Bundesstraße gegangen wäre.

53 Menschen laufen hinter dem Transparent mit der Aufschrift »Civil March for Aleppo« her, einen schiebt Anna Alboth im Rollstuhl. Alle verbrachten die Nacht in Schlafsäcken in einem momentan leeren Ausstellungsraum des Museums Glashütte, oder sie sind morgens angereist.

Zwei kleine weiße Fahnen wehen. Andere Fahnen sind nicht zugelassen. Das sorgte dafür, dass sich eine Gruppe absplitterte und zurückblieb, die mit syrischen Rebellen sympathisierte und Symbole der oppositionellen Freien syrischen Armee mitführte. Doch der Marsch will sich ganz bewusst nicht auf die Seite irgendeiner der zahlreichen Kriegsparteien in Syrien schlagen. Gewünscht werden Frieden und humanitäre Unterstützung für die Zivilbevölkerung. Kann dieses Anliegen durch einen Fußmarsch Richtung Aleppo gefördert werden? Ist das nicht verrückt? Vielleicht ist es sogar sehr verrückt. Aber besser, als tatenlos dazusitzen und die schrecklichen Bilder im Fernsehen anzuschauen, findet Anna Alboth.

Mehr Informationen unter: civilmarch.org

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