Ein neuer Krieg ist weniger leicht

Die US-amerikanische Friedensbewegung sucht nach Auswegen aus der Identitätskrise

  • Max Böhnel, New York
  • Lesedauer: 5 Min.
Nach dem 11. September gab es in den USA Demonstrationen Tausender Kriegsgegner. Inzwischen sind sie weitgehend verschwunden - zumindest von der Straße. Die Friedensbewegung sucht neue Wege.
Die Forderungen, mit denen die New Yorker Friedensbewegung über das Internet zur Adventsdemo aufgerufen hatte, waren eindeutig und ehrenwert gewesen: Stop the war, defend civil liberties, stop racist violence! Schluss mit dem Krieg, Bürgerrechte verteidigen, rassistische Gewalt stoppen!. Am Rockefeller-Center, einem der Tempel des Kapitalismus, sollte sie stattfinden. Doch die »Coalition for Peace and Justice«, ein Bündnis liberaler und linker Friedensgruppen, hatte sich verrechnet. Mangels Präsenz ging das Vorhaben sprichwörtlich im Weihnachtsgetöse unter. Ob es 200, 400 oder vielleicht 500 Aktivisten waren, die sich auf den Bürgersteigen an den einkaufswütigen Passanten vorbeiquetschten, war schwer zu sagen. Auf der Abschlusskundgebung war man zwischen Polizeibarrieren eingepfercht, Verkehrslärm übertönte die Megaphone. Es war eine Demonstration, die typisch ist für den Zustand der US-amerikanischen Friedensbewegung mehr als drei Monate nach dem 11. September und Tausenden Bombenflügen in Afghanistan - zumindest, was die Präsenz auf der Straße angeht. Kurz nach dem 11. September hatte es mehrere große Antikriegsproteste, an denen bis zu 25000 Menschen teilnahmen, und Hunderte von Sit-Ins an Universitäten gegeben. Veteranen der US-Antikriegsbewegung hatten ein Anwachsen der Proteste vorausgesagt, je rabiater die Kriegsdrohungen der Bush-Regierung wurden. Doch die Welt ist nicht mehr so wie vor dem 11. September. Eine »militärische Sperrzone« würde die Bush-Regierung errichten, hatte der Medienkritiker Norman Salomon als erster gewarnt, als die Bombenflüge begannen, »eine Zone, in der es Feuer frei heißt für Kriegspropaganda«. Er behielt Recht. In den Nachrichten, die selbst den Anschein von Objektivität aufgegeben haben, heißt es nach wie vor: »Wir« - Amerika - gegen »sie« - die Terroristen, Terroristenhelfer, Terroristenunterstützer, Verräter, Schurken und Schurkenstaaten. Abgehalfterte Ex-Militärs und längst vergessene Kalte Krieger spreizen sich in den Talkshows ohne Unterlass als »Experten«. Nationalistische Logos in den Nationalfarben, obwohl schon leicht vergilbt, bestimmen das Straßenbild. Das vormals liberale »Ja, aber« ist einem bedingungslosen »Ich stehe hinter dem Präsidenten« gewichen - jedenfalls in den Massenmedien, die die öffentliche Meinung formen. Es ist Krieg. Doch der fällt nur auf, wenn man sich an die blau-weiß-roten Fähnchen auf den Autos und die »United we stand«-Plakate in den Schaufensterscheiben noch nicht gewöhnt hat. Und fast alle empfinden den Ausnahmezustand inzwischen als Alltag. Am Broadway in Höhe der 14. Straße befindet sich der Union Square, einst Sammelplatz für demonstrierende Arbeiter und in den 60er und 70er Jahren immer wieder Ort von Massenprotesten gegen den Vietnamkrieg. Auch nach dem 11. September war der Union Square, der eigentlich ein kleiner Park ist, Schauplatz direkter Demokratie. In den Wochen nach den Anschlägen wurde er spontan zur Gedenkstätte für Menschen, die hier Kerzen entzündeten, Fahnen anbrachten, Gedichte vorlasen - und zur Geburt einer neuen Friedensbewegung beitrugen. Tausende versammelten sich Tag für Tag, um den 11. September kollektiv zu verarbeiten, Dutzende übernachteten hier. Bis sich die Menge ausdünnte und die Stadt die bunten Wachsflecken, die das Kerzenmeer auf den Bürgersteigen hinterlassen hatte, wegsäuberte. Der Union Square ist dreieinhalb Monate danach wieder, was er vorher war: ein Verkehrsknotenpunkt, nicht mehr. Viele Pazifisten, Liberale und Linke haben den Rückzug von der Straße angetreten, so mancher spricht von einem »taktischen Ausweichen«. Vor allem auf dem Campus, sagt zum Beispiel Vivian Stromberg von der New Yorker Internationalismus-NGO »Madre«, habe man sich »von reflexhafter Antikriegs-Organisationsarbeit verabschiedet und sich der Diskussion über alternative Reaktionen gewidmet«. Die Friedensbewegung habe ihre Identitätskrise erkannt, »das Sich-Wissen-Aneignen vor allem bei jungen Leuten« stehe im Vordergrund ebenso wie »praktische Überzeugungsarbeit«. Sie selbst, so Vivian Stromberg, stehe seit 40 Jahren »in Fundamentalopposition zum USA-System und seiner Außenpolitik«, aber der 11. September habe erstmals das traditionelle Selbstverständnis der US-Amerikaner und den Mythos der Unverwundbarkeit auf dem eigenen Territorium zerstört. »Das ist nicht Vietnam, die USA wurden angegriffen.« Dem »Krieg gegen den Terrorismus« ist auch aus der Sicht vieler anderer Alt-Aktivisten nicht mit dem herkömmlichen Schema beizukommen. Die Fragen lauten nicht, wie sie im Vietnam- oder Irakkrieg von der Regierung eher abstrakt beantwortet wurden: Dürfen »Freedom and Democracy« gegen den Kommunismus mit Napalm verteidigt werden? Lohnt es, Blut für Öl zu opfern? Die Frage ist heute: Wie ist der Terrorismus zu bekämpfen, und wenn nicht mit Gewalt, wie sonst? Die Aufklärung über die Macht-, Gewalt- und Herrschaftsverhältnisse in den USA hilft nicht weiter, und der Verlauf des Krieges, der überraschend schnelle Sturz des Taleban-Regimes, die Zerschlagung von Al Qaida scheinen die mörderischen Bombardierungen und die Politik der US-Regierung zu bestätigen. Leichtes Spiel hatte deshalb zum Beispiel der Journalist Christopher Hitchens, ein britischer Ex-Linker und Kriegsbefürworter, als er Mitte November in der Internet-Zeitschrift »Salon« gegen die »Peaceniks« als »arme Narren« polemisierte. Zu keinem ihrer »Horrorszenarien«, die sie zu Beginn des Krieges malten, sei es gekommen. »Wir« - die USA - seien nicht nur schlau und nett, sondern auch »überraschend beharrlich dabei, zu bekräftigen, dass auch unsere Kultur Respekt verdient«. Während das US-Establishment weitere Angriffsziele diskutiert, die über Afghanistan hinausgehen, drängt sich die Friedensbewegung in Seminarsälen, liest Bücher, geht zu abendlichen Aufklärungsveranstaltungen und sammelt eifrig Informationen darüber, in welchem Stadium Krieg und Repression sich im Inneren befinden. Jede dieser Aktivitäten wird sich in der nahen Zukunft als Pluspunkt herausstellen. Denn der übernächste - vielleicht auch schon der nächste - »Krieg gegen den Terrorismus« wird für die Bush-Regierung und die größte Militärmaschine aller Zeiten nicht so leicht zu haben sein.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.