Noch immer keine Lust auf Schule

Berliner Schüler fehlten 2016 unverändert oft unentschuldigt - Sanktionen scheinen nicht zu fruchten, Präventionsprogramme aber auch nicht

  • Ellen Wesemüller
  • Lesedauer: 3 Min.

Trotz Präventionsprogrammen werden die Fehltage von Berliner Schülern nicht weniger. Das geht aus der Antwort auf die Schriftliche Anfrage des SPD-Bildungspolitikers Joschka Langenbrinck hervor. Während im zweiten Schulhalbjahr 2014/2015 0,87 Prozent der Schüler unentschuldigt fehlten, waren es ein Jahr später 0,94 Prozent. Bei Grundschülern lag die Quote 2015/2016 mit 0,54 Prozent etwas niedriger.

Die Bildungsverwaltung erhebt die Zahlen bei allen öffentlichen allgemeinbildenden Schulen der 5. bis 10. Klassen, in der Antwort des Bildungsstaatssekretärs Mark Rackles (SPD) waren jedoch nur die Jahrgänge 7 bis 10 aufgelistet. Dabei wird nach Schulformen differenziert. Die meisten Fehltage verzeichnen Schulen mit dem Förderschwerpunkt »Lernen«, am wenigsten die Gymnasien.

Auch nach Bezirken sortiert ergibt sich ein differenziertes Bild: Am häufigsten fehlten Schüler unentschuldigt im Bezirk Mitte (3,1 Prozent), es folgt Neukölln mit 2,9 Prozent. Am wenigsten blieben die Schüler in Pankow unerlaubt vom Unterricht fern.

Das Fernbleiben kann unterschiedlich sanktioniert werden: Die Schule kann Schüler anzeigen, Bußgeld verhängen oder die Polizei beauftragen, die Schüler abzuholen. Während Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Charlottenburg-Wilmersdorf die Schüler nur anzeigt, jedoch kein Bußgeld verhängt oder gar die Polizei einschaltete, rief Marzahn-Hellersdorf 2015/2016 ganze 13 Mal die Polizei. Neukölln liegt mit 298 Bußgeldverfahren an der Spitze dieser Sanktionsmöglichkeit.

Die Senatsverwaltung verweist in ihrer Antwort auch auf präventive Maßnahmen: Ende 2015 verschickte sie den Leitfaden »Aktiv gegen Schulschwänzen« sowie den Elternleitfaden »Mein Kind will nicht zur Schule gehen« - allerdings nur 20 Stück pro Schule. Zusätzlich gibt es einen »Handlungsplan Schuldistanz«. Die Evaluation der Maßnahmen sei jedoch nicht abgeschlossen, so Rackles. Wichtig sei, mehr Jugendsozialarbeiter an Schulen anzustellen.

Der Antragsteller Langenbrinck schrieb nach Veröffentlichung der Zahlen auf dem Kurznachrichtendienst Twitter: »Es sind persönliche Dramen für die Kinder, wenn man sie durch Schulschwänzen ins Aus abdriften lässt.« Franz Kerker, bildungspolitischer Sprecher der AfD, sagte: »Schulpflicht als zentrale Säule unserer Gesellschaft und eines der wichtigsten Integrationsinstrumente muss ohne Kompromisse durchgesetzt werden. Notfalls auch mit polizeilichen Mitteln und der Kürzung oder Streichung von Sozialleistungen, wie dem Kindergeld.« Der »Tagesspiegel« schrieb mit Verweis auf die fehlenden Grundschulzwahlen, Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) setze das Präventionsprogramm in Teilen nicht um.

Die Bildungsverwaltung verwahrt sich gegen die Kritik. Sprecher Thorsten Metter sagte: »Am Bonus-Programm, das Schulen in schwierigen Lagen unterstützt, kann man sehen, dass es einen Rückgang der Zahlen der Schulschwänzer gibt.« Auch die beschlossene Einrichtung von Kleinklassen ziele auf diese Schüler.

Auch Regina Kittler, Bildungspolitische Sprecherin der LINKEN, sagte: »Ich bin kein Fan von maximaler Härte. Dieser Ansatz der rot-schwarzen Koalition hat nichts gebracht. Prävention ist die beste Reaktion.« Das zeige sich auch an den Zahlen der Bezirke: »Friedrichshain-Kreuzberg hat auch Brennpunktbereiche. Die haben sich den harten Sanktionen verweigert - und da sind die Zahlen nicht so hoch. Die Neuköllner, die rigide durchgreifen wollten, haben auch nichts geschafft.« Aus eigener Erfahrung wisse sie: »Die Formulare für eine Versäumnisanzeige auszufüllen - das dauert. In der Zeit kann man auch mit den Schülern reden.«

Für Norman Heise, Vorsitzenden des Landeselternausschusses, fängt das Problem schon vor der ersten Sanktion an. Er sagte: »Die Schule müsste die Eltern schon am ersten Tag des Fernbleibens informieren. Uns ist bekannt, dass das nicht unbedingt gängige Praxis ist.« Das habe auch mit der Personaldecke an Schulen und Bezirksämtern zu tun. Er sei nicht dafür, gleich die Polizei zu holen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.