Schon wieder Menschenversuche im Stasi-Knast Hohenschönhausen?

Über »Linke Militanz in Geschichte und Gegenwart« - ein Bildungsangebot der Berliner Gedenkstätte

  • Markus Mohr
  • Lesedauer: 6 Min.

Gefängnisse sind unwirtliche Orte. Sie erinnern uns daran, wie schmal der Grat eines halbwegs angenehmen Lebens in relativer Freiheit sein kann zum Leben in einer eingekerkerten Existenz. Im Gefängnis werden Furcht, Mangel und Not verwaltet. Wer schon einmal gefangen war, weiß, was es heißen kann, der Gewalt der Schließer ausgeliefert zu sein. Grund- oder Menschenrechte müssen an diesem Ort menschlicher Existenz allemal als eine knappe Ressource gelten. Es spricht also nicht das Geringste dagegen, Knäste zu Gedenkorten zu erheben. Sie können als ganz vorzügliche Mahnmale dazu dienen, aufzuzeigen wozu Staatsgewalt führen kann.

Nach dem Fall der Mauer wurde in Berlin die ehemalige zentrale Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit in Hohenschönhausen zu einer Gedenkstätte erhoben, um an das Schicksal der dortigen Gefangenen zu erinnern. Auch in diesem Knast wird es sadistische Behandlungen gegen Inhaftierte durch Schließer gegeben haben. Dabei wird sich die Intensität der gegen Gefangene ausgeübten Brutalität grob im Standard der beiden Deutschländer bis 1990 bewegt haben. Auch in Westdeutschland wurden immer mal wieder Gefangene von Schließern in den Knästen totgeprügelt. Das konnte wenigstens einmal von einer linksradikalen Gruppe im Vollzug der JVA Mannheim aufgedeckt werden, ohne dass das bis heute zur Folge hatte, auch diesen Knast zu einem Mahnmal staatlich ausgeübter Grausamkeit in der BRD zu erheben.

Nun wird die Gedenkstätte Hohenschönhausen dafür genutzt, SchülerInnen dazu zu nötigen, sich »auch mit aktuellen Formen des gewaltbereiten Linksextremismus auseinanderzusetzen«. Mit diesen Worten der Bundesregierung soll es um eine »Zugangserschließung zu linken, militanzaffinen jungen Menschen und zu jungen Menschen in entsprechenden Risikokontexten« gehen. Was für ein schreckliches Gruseldeutsch, aber es kommt noch schlimmer.

Ein Werbefilm des Bundesfamilienministeriums

Um jene besagte »Zugangserschließung« ins Werk zu setzen, wird die Stasi-Knast-Gedenkstättenverwaltung vom Bundesministerium für Familie und Jugend seit Jahren mit Hunderttausenden Steuergroschen alimentiert. Und nun wird das auch noch mit einem »Programmvideo« illustriert, das auf der Website des Ministeriums angeklickt werden kann.

Nach einem eigentümlich groß ins Bild gerückten Aufkleber: »Nazifeie Zone / Naziaufmärsche zum Desaster machen!« kann man darin zu Beginn keinen geringeren als den Direktor der Gedenkstätte selbst sehen: Hubertus Knabe. Er findet sich in einem Zellentrakt aufgestellt und er wirkt dabei mit seinen nach hinten verschränkten Armen und dem straff durchgedrückten Oberkörper, den blonden Haaren und seiner kantigen Visage ein bisschen wie Reinhard Heydrich, allerdings ohne Uniform. Auch wenn natürlich begründet zu vermuten steht, dass er mit diesem bestimmt eine fundamentale Ablehnung dessen teilt, was er unter Antifa versteht, sind hier Missverständnisse in jeder Weise fehl am Platz: Ein Gefängniswärter oder gar eine faschistische, Pardon: rechtsextremistische Bestie ist Hubertus Knabe nicht, im Gegenteil: In der ersten Hälfte der 1980er Jahre hat er sich als Mitglied prominent in einer Formation engagiert, die bis auf den heutigen Tag das sympathische Konterfei einer Sonnenblume in ihrem Wappen trägt: Es geht um die Grüne Partei, von der die Verfassungsschutzbehörden damals immer mal wieder Grund zu der Annahme hatten, es handele sich um eine linksextremistische Gruppierung.

Nach dem starken Auftritt des Gedenkstättendirektors geht das Video nach der Bemerkung, dass man doch in Sachen Linksextremismus »einen aktuellen Bezug herstellen« wolle, mit einem Bild weiter, auf dem zu sehen ist, wie ein klappender Schlüssel in ein Schloss einer Gefängnistür einrastet und zuschnappt. (Schnapp! Schnapp!) Das Video führt dann eine irgendwie statisch wirkende Gruppe von Schülern von rechts nach links durch den Kerker. Schülerin B erhält dazu mit dem gefühlten Einfall das Wort: »Man fühlt sich hier wirklich gefangen, obwohl man hier ja noch nie selbst war, … man will sich gar nicht vorstellen, wie die Leute sich gefühlt haben, weil es einfach ganz schrecklich ist.«

Nachdem aus dem Off ein Sprecher die ganz eigentümlich in Szene gesetzte Angelegenheit als einen »präventiv-pädagogischen Ansatz« würdigt, mit dem »die Vergangenheit mit aktuellen Erfahrungen von Jugendlichen« verknüpft werden soll, füllt die frühere Grünen-Funktionärin Anette Detering das Bild mit dem nächsten Statement: »Die Führung zeigt ja am Beispiel einer, ich sag’s mal verkürzt: linksextremen Diktatur, wohin falsch verstandene linke Ziele führen können.« Zu diesem Einfall werden abwechselnd eine alte Überwachungskamera, eine Schreibmaschine und ein paar offene Zellentüren in Großaufnahme gezeigt. Diese Bildkomposition des Videos ist nicht leicht zu verstehen. Sollen »linke Ziele« tatsächlich jemals darin bestanden haben, sich Überwachungskameras und Schreibmaschinen anzuschauen? Und überhaupt: Können denn offene Zellen in einem leeren Gefängnis nicht eigentlich als ganz wunderbare Realisierung jenes paradiesischen Traumes gelten, den einst Rio Reiser besang: »Alle Türen waren offen, die Gefängnisse war’n leer«?

»Irgendwie läuft hier was total verkehrt«

Fragen über Fragen. Und sie spitzen sich sogar noch zu, als endlich SchülerInnen das Wort erhalten, um ihre Reaktion auf die von der Gedenkstätte »spielerisch« bearbeiteten »Argumentationsmuster (…) der Linksradikalen, Linksextremisten und aus dem Bereich der linken Militanz« zu schildern, um diese – so der Sprecher aus dem Off – »zu entkräften«. O-Ton Schüler A: »Es fühlte sich komisch an. Kurzzeitig hatte ich gedacht, irgendwie läuft hier gerade was total verkehrt. Und ich bin hier nicht in der Rolle, in der ich eigentlich sein müsste. War aber nach dem Gespräch auch wieder sehr schnell verflogen.« O-Ton Schülerin B: »Das viele Reden bewirkt manchmal wirklich nichts. Und meiner Meinung nach bewirkt es aber noch viel weniger, wenn man mit Gewalt dagegen vorgeht.«

Wenn man so etwas hört, dann weiß man nicht viel, aber doch eines: Der Anti-Linksextremismus-Crash-Kurs der Gedenkstätte Hohenschönhausen hat hier ganz offenkundig bewirkt, dass diese beiden SchülerInnen erheblich dümmer von dort heraus gegangen sind, als sie vorher hineingegangen sind. Das kann doch wohl nicht wahr sein! Man will sich gar nicht vorstellen, wie sich diese beiden SchülerInnen während des Anti-Linksextremismus-Kurses gefühlt haben, wie schrecklich diese Erfahrung in diesem Risikokontext gewesen sein muss.

Die Forderung muss hier also lauten: Sofortiger Abbruch aller Menschenversuche an SchülerInnen in der Gedenkstätte Hohenschönhausen!

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