Nur nichts verkommen lassen

Fernsehkoch Horst Lichter gibt eher Schmalz als Schokoladensauce an den Schweinebraten

Es riecht wie früher bei Oma. Der Duft der schweren Bratensoße mischt sich mit dem Qualm der glühenden Briketts im eisernen Küchenherd. Und es sieht aus wie bei Oma. Das Restaurant des Fernsehkoches Horst Lichter heißt »Oldiethek« und macht seinem Namen alle Ehre. Das völlig verwinkelte Gebäude ist gefüllt mit Kuriositäten des vergangenen Jahrhunderts. Ein Wunder, dass noch etwa 80 Gäste hier Platz finden können. Am Eingang steht ein lebensgroßer Sportwagen der Marke Lamborghini, daneben eine alte Fernsehkamera mit Drehwechselobjektiv und ein mannshoher Projektor aus einem Kino. Die Regale sind voll von Büchern, Schellack-Platten, Feldpostkarten, Schreibmaschinen und drolligen Kaffeekannen. Die Zeit ist je nach Blickwinkel 40 bis 80 Jahre stehen geblieben. Hier ein Motorrad mit Sattel, dort ein Bonanzarad, diesem Halsbrechgerät von Kinderfahrrad, das westdeutsche Straßen befuhr, als der Kanzler noch Willy hieß. Dichtgedrängt an den Tischen sitzen die Gäste. Keine Eleganz, kein Schicki-Micki-Gehabe, normale Menschen. Monatelang haben sie vorbestellt. Eine Speisekarte gibt es nicht. Horst Lichter kommt an jeden Tisch, stellt seine Angebote des Abends mündlich vor und nimmt die Bestellung an. Etwa 50 Euro kostet ein Dreigängemenü in der »Oldiethek«. Für ein vollgestelltes Landgasthaus ist dies ein stolzer Preis, für die Restauration eines Promi-Koches eher moderat. Die Tarife erhöhen will Horst Lichter trotzdem nicht. Lieber nimmt er eine weitere Verknappung des Angebots in Kauf. Ein Abend bei ihm soll etwas besonderes sein und bleiben, sagt er. Und nicht nur etwas für die ganz Reichen. Die langen Tafeln, die sich schon mal zwei Grüppchen teilen müssen, sind mit - wen wundert's - altem Geschirr gedeckt. Kein Teller, kein Messer, kein Löffel gleicht dem anderen. Das Essen wird in verbeulten rußigen Pfannen und Töpfen serviert. Aber noch müssen die Gäste warten. Die Vorspeise kam zwar recht zügig. Tomatencreme-, Steinpilz- und Kartoffelsuppe. Aber das Hauptgericht dauert. In der offenen Küche steht der hundert Jahre alte Kohleherd. Auf die eiserne Kochfläche hat Horst Lichter dicht an dicht die Pfannen mit den handtellergroßen Fleischstücken gestellt. Schweinemedallion, Rumpsteaks und Lammfilets. Mit dem Feuerhaken öffnet der 43-Jährige kurz die Luke, wirft drei Briketts und zwei Kerzen in die Glut. »Brandbeschleuniger«, erklärt der Koch. Ohne die Kerzen würde die Temperatur fallen, und das Fleisch wäre ungenießbar. In einem großen Topf blubbert Sahnesoße mit geschnipseltem Kohlrabi. Rasend schnell legt Lichter mächtige Weißkohlblätter in die Flüssigkeit, füllt diese Taschen mit braunen Champignons und Möhrchen, Böhnchen, Rosenkohl, Blumenkohl und Broccoli. Oben auf das gedünstete Gemüsebeet legt er die Fleischbrocken, gießt den Bratensaft aus der Pfanne darüber. Und schon wird dieser deftige Berg zwölf hungrigen Gästen serviert. Als Sättigungsbeilage hat sich der Küchenchef etwas besonderes einfallen lassen. »Meine Rache für Tiefkühlpommes und Kroketten«, schmunzelt der schmächtige Mann verschmitzt. Die in Butter golden angebratenen Kartoffelklöße nennt er selbstbewusst »Lichters Echte«. Die Kellnerinnen mit ihren Pfannen werden am Tisch mit einem vielstimmigen »Ooooh!« empfangen. Nicht nur die schnelle Küche aus Tiefkühltruhe und Mikrowelle ist dem Koch ein Graus. Fast noch schlimmer als Fast-Food findet er das, was oft als feine Küche gilt. Als »Delfter Porzellanmalerei« bezeichnet er die Kreationen mancher Kollegen. Winzige Portionen sind nichts für ihn. »Wie soll ein arbeitender Mensch davon satt werden?« Er ist für die Politik der vollen Teller. Aber er ist eben auch kein Sternekoch. »Bei dem ganzen Rummel muss man doch Mensch bleiben.« Gedruckt klingt das vielleicht wie eine Phrase. Wenn Horst Lichter das in dem rheinischen Klang in seiner Stimme beim Anbraten eines Hüftsteaks von sich gibt, wirkt es glaubhaft. Wie ein kochender Erich Kästner. Nachdem er drei Stunden an seinem glühenden Herd gestanden hat, alle seine Gäste zufrieden kauen, gönnt sich Horst Lichter ein Päuschen. Dann setzt er sich zu einer Handvoll Gästen am nächstbesten Tisch und erzählt denen bei einer Tasse Kaffee, einem riesigen Stück Apfelkuchen und einer halben Schachtel Zigaretten sein Leben. Arbeiterfamilie, mit dem Wort fängt er an. Vater war beim Kohletagebau, stand bei den riesigen Schaufelradbaggern in den Gruben, die zwischen Köln und Aachen Löcher in die Landschaft reißen. Musste mit der Schippe die runtergefallenen Brocken wieder aufs Förderband hieven. Knochenarbeit. Man war damals arm. Hühner und Kaninchen hielt man hinten im Garten. Der Vater hätte immer erzählt, dass die Kaninchen plötzlich ihr Fell wechseln können. Er wollte den Kindern verheimlichen, dass die Spielgefährten im Topf landeten. »Der Vater war ein herzensguter Mann.« Bei dem Satz leuchten Lichters dunkelbraune Augen durch die großen Brillengläser. Der Vater hätte dem Sohn gesagt, dass ihm sein Brot besser schmeckt, wenn nur Margarine drauf ist und hat dem Sohn die letzte Leberwurst gegeben. »So war der Vater.« Mit der flachen Hand streicht sich Lichter über den kahlen Schädel, wirkt dabei unendlich müde. Dann zauselt er an seinem gedrehten Schnäuzer und erzählt weiter. Irgendwann war mal in der Nachbarschaft ein Keller vollgelaufen mit Wasser. Der Vater sagte zum Sohn, dass er da nicht runter gehen solle. Ist der Horst natürlich trotzdem. Und ist fast abgesoffen. Der Vater hat ihn in letzter Minute rausgezogen. Und statt ihm, wie damals üblich, den Hintern zu versohlen, ist der Vater schnell zum Krämer gelaufen und hat dem Sohn zum Trost eine Schachtel mit Legosteinen gekauft. »So war der Vater«, wiederholt sich Lichter. Viel zu früh sei er gestorben, am Herzen. Horst hat mit 14 eine Lehre als Koch angefangen. In dem kleinen Restaurant »Alte Post« lernte er viel. Dort blieb er aber nicht. »Manchmal macht man Fehler in Leben. Aber sonst wäre ich vielleicht gar nicht bis hier hin gekommen.« Woanders bot man dem Gesellen mehr Lohn. Aber in jenem Ausflugslokal verlor er den Spaß an seinem Beruf. Manchmal mussten fünf Busladungen in einer Stunde abgefertigt werden. »Das war kein Kochen, das war Lebensmittel erwärmen.« Der Meister soff und war im Rausch unberechenbar. Da flogen die Töpfe durch die Küche, und der Geselle hat so manchen Tritt in den Hintern bekommen. Schnell schmiss er das Handtuch und den Kochlöffel. Wie Vater fing er bei der Braunkohle an. Aber statt schippen, musste er fegen, in Wechselschicht. Manchmal sah er die Hand vor Augen nicht vor Kohlestaub. Mit 25 hatte er einen Hirnschlag. Konnte sich dann wieder berappelt. »Ich dachte, das ist wie Schnupfen. Kommt und geht wieder«, schnauft Horst Lichter. »Zwei Jahre später dann der zweite Hirnschlag, diesmal mit Herzinfarkt.« Da habe er gemerkt, dass er sein Leben gründlich verändern musste. In der Reha-Klinik war er ein Jahr lang nur mit Rentnern zusammen. Nachdem er wieder sprechen und laufen gelernt hatte, erzähle er den alten Leuten von seinen Leidenschaften, vom Kochen, von Motorrädern und überhaupt allen Antiquitäten. Die rieten ihm, seine Träume endlich zu verwirklichen. Aus der Klinik entlassen, entdeckte er etwa 20 Kilometer nordwestlich von Köln in dem Örtchen Butzheim ein heruntergekommenes Haus. Vor hundert Jahren war das Gebäude ein Tanzlokal, später beherbergte es ein Kino, dann ein Flüchtlingsheim und einen Gemeindesaal. Bevor Horst Lichter das Haus mietete, waren darin ein Schrottplatz und eine Karosserieschlosserei untergebracht. Zur Frühschicht ging er noch immer zu dem Kohlekonzern Rheinbraun, danach werkelte er an seinem Traum. Schrottreife Mopeds und Autos, ein Tisch und ein paar Stühle, so fing das an. Ein Restaurant durfte er nicht eröffnen. Schließlich verstieß er gegen fast alle behördlichen Auflagen. Aber einen Club durfte er gründen, den »Spinner-Club«. Oldtimerfreaks kamen zu ihm und aßen seine bald berühmten Pfannekuchen. Motorradfahrer auf dem Weg vom Ruhrgebiet zum Nürburgring kehrten bei ihm ein. Um die Gäste anzulocken, streute er manchmal nur eine Prise Zucker in die Pfanne oder briet ein paar Speckwürfel an. Der Geruch lockte die Hungrigen des Dorfes an seinen Ofen. Jeder Gast brachte sein eigenes Geschirr mit, manche auch Stühle und Tische. Diese Erstausstattung wird noch immer benutzt. Entweder war Horst Lichter zu jener Zeit pleite oder ganz pleite. Der Gerichtsvollzieher, der inzwischen regelmäßig bei ihm diniert, war damals aus anderem Grund oft bei ihm. Als es mal wieder ganz schlimm um die »Oldiethek« stand, riefen Leute vom Westdeutschen Rundfunk an. Ob man nicht über seine Kochkunst berichten dürfe. Sein erstes Gericht als Fernsehkoch war Bohnenbirnenspeck. Das Fernsehpublikum war begeistert. So eine rustikale Küche wurde bislang noch nicht präsentiert. Ein kleiner Mann in Lederweste, der vor seinem Kohleherd steht und in Ermangelung von Glaskaraffen die Zutaten in Kaffeekannen lagert, um sie vor laufender Kamera in die Pfannen zu schütten, das war neu. Inzwischen kocht der Rheinländer nicht nur für das regionale Fernsehprogramm, sondern auch für das ZDF und die großen privaten Sender. Beim SAT1-Promi-Grillen gewann er an der Seite von Schauspieler Heinz Hoenig den ersten Preis. Zur Fußball-WM brutzelte er bei Jörg Pilawa. Bei Johannes B. Kerner gehört er zur festen Crew. »Lafer! Lichter! Lecker!« ist eine neue rheinisch-österreichische Kochshow im Zweiten. Zwischen all den hochdekorierten Sterneköchen wirkt der kleine kahle Koch mit dem Kaiser-Wilhelm-Schnäuzer und der großen runden Brille zuweilen wie ein Hofnarr. Immer hat er einen kessen Spruch auf den Lippen. »Ein Süppchen für's Püppchen, ein Salätchen für's Knäbchen!« Und er benutzt im Gegensatz zu der zeitgeistgemäßen Küche kaum ausgefallene Fleischsorten oder Früchte. Auch die Kombinationen seiner Speisen sind nicht so verwunderlich wie die mancher moderner Kollegen. Eher gibt er Schmalz als Schokoladensoße an seinen Schweinebraten. Vieles von dem, was er empfiehlt, passt zu dem Gütesiegel »Wie von Muttern«. Während die anderen Promiköche bei Kerners Sylvestershow noch ihre Kreationen zubereiteten, schaute der Butzheimer traurig zu einem riesigen Marzipanschwein auf der Anrichte. Wahrscheinlich, so dachte Lichter, werde diese Dekoration nach der Sendung im Müll landen. Mit einem riesigen Küchenmesser schlachtete er das Vieh und verteilte es vor laufender Kamera an die hungrigen Zuschauer im Studio. »Nur nichts verkommen lassen«, ist seine Devise. Folgerichtig ist in seinem Kochbuch auch das Rezept für den Rumfort-Topf zu finden. Alles, was in der Küche rumliegt, muss fort, in einen Topf, verfeinert nur mit einem Liter Sahne. Zu jedem seiner Gerichte weiß der Koch eine Geschichte zu erzählen. Diese Anekdoten sind so unterhaltsam, dass Lichter inzwischen als Kabarettkoch im Rheinischen Landestheater in Neuss auftritt. Statt Gitarre oder Klavier hat er als Begleitinstrument einen Kohleofen dabei. Auch sonst hat er noch viele Ideen. Von einer örtlichen Brauerei lässt er sich sein Bier brauen. Dies verkauft er in zünftigen Bügelflaschen, in handgeschreinerten Holzkisten. »Ich könnte die Kisten in Fernost billig zusammennageln lassen. Mach ich aber nicht«, sagt Lichter etwas trotzig. Eine Behindertenwerkstatt stellt die Bierkästen her. Das naturtrübe Helle sei ein Renner. »Ich hoffe, die müssen bald auch Nichtbehinderte einstellen, damit sie mit den Aufträgen nachkommen.« Haben der Erfolg und das Geld den Mann aus kleinen Verhältnissen verdorben? »Klar«, gibt Horst Lichter unumwunden zu. Den letzten Gästen erzählt er augenzwinkernd von seinem Leben im Jet-Set. »Nach Hamburg zum Fernsehstudio flieg ich mit Business-Class. Da sitz ich in einem Riesensessel und bekomme sogar warmes Essen serviert.« Und vom Flughafen werde er mit einem dicken BMW mit Chauffeur abgeholt. Das hätte sich der ehemalige Hauptschüler vor zehn Jahren noch nicht träumen lassen. Zum Abschied gibt noch eine Weisheit mit auf den Weg: »Dumm ist nicht der, dessen Träume ...

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