Wo stecken die Aliens?
Bislang haben wir weder außerirdisches Leben noch fremde Intelligenzen nachweisen können. Aber die Wissenschaft bereitet sich vor. Von Dieter B. Herrmann
Ist Leben ein allgemein verbreitetes Phänomen im Universum? Diese Frage fasziniert Wissenschaftler wie Laien seit Jahrhunderten. Hinter dem beliebten Vortragsthema »Sind wir allein im All?« verbirgt sich allerdings die weitergehende Frage nicht nur nach dem Leben - etwa in Form von Einzellern -, sondern die nach intelligenten technischen Zivilisationen. Als Prototyp betrachten wir dabei meistens uns selbst, also die Menschheit. Das stellt zwar eine anthropozentrische Verengung dar, dafür können wir aber sicher sein, dass die Evolution vom Einzeller bis zur technischen Zivilisation in diesem Fall und unter den hiesigen kosmischen Bedingungen tatsächlich funktioniert hat. Angesichts der Unzahl von Sternen und Galaxien mutmaßt man, dass es auch anderswo geklappt haben könnte. Dass einfaches Leben auch unter Bedingungen möglich ist, die vor wenigen Jahren noch ausgeschlossen schienen, zeigen allerdings neuere Entdeckungen von Extremophilen, die auf dem Meeresgrund leben, deren Stoffwechsel auf molekularem Wasserstoff und Eisen beruht, und die sich selbst bei Temperaturen von 121 Grad Celsius noch vermehren. Bei anderen basiert der Stoffwechsel auf Methan, Schwefel oder Mangan. Aale, rote Krabben und andere Schalentiere vermögen unter ungeheurem Druck in 7000 Metern Tiefe in völliger Dunkelheit zu existieren oder Strahlendosen vom 1000-Fachen der beim Menschen letalen Dosis zu ertragen. Das alles lässt den Schluss zu, dass die Anpassungsfähigkeit lebender Organismen weitaus größer sein könnte als bislang angenommen.
In den letzten Jahrzehnten wurde die Diskussion um Außerirdische aber vor allem durch zahlreiche neue Erkenntnisse der Astrophysik befeuert, die es immer plausibler erscheinen lassen, dass wir nicht allein im All sind. Vor allem die fast täglich zunehmende Zahl bekannter Exoplaneten, d.h. Planeten bei fernen Sonnen, lässt erkennen, dass es an Wandelsternen als mögliche Träger von Leben und vielleicht auch Zivilisationen nicht mangelt. Seit dem Beginn der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurden bislang 3532 Exoplaneten entdeckt, zu denen sich ca. 2000 Kandidaten gesellen, die noch überprüft werden müssen. In fast 600 Systemen sind sogar zwei bis sieben Planeten nachgewiesen worden (Stand Ende September 2016). Ein weiteres Indiz für die Verbreitung von Leben bieten die Erkenntnisse der chemischen Evolution im Kosmos. Radioastronomische Fingerabdrücke komplexer organischer Moleküle, die zu den Vorstufen von Leben gehören, wurden zuhauf und sogar in recht unwirtlichen Regionen des Universums gefunden. Besonders die Molekül- und Staubwolken, in denen Temperaturen von unter -200°C herrschen, beherbergen große Mengen an komplexen präbiotischen Molekülen, den Vorstufen der Aminosäuren, die wiederum die Bausteine der biologischen Makromoleküle, der Proteine, darstellen. Die chemischen Zutaten des Lebens sind also im Weltall weit verbreitet. Auch die bis vor kurzem angenommene Seltenheit von Wasser im Universum gehört inzwischen ins Reich der Legende. Wasser findet sich in unserem Sonnensystem keineswegs nur auf der Erde, dem »blauen Planeten«, sondern in reichem Maße auch auf den Kleinplaneten und Kometen sowie auf Mond und Mars. Gerade erst wurde in Auswertung der Daten der »Dawn«-Sonde der US-Raumfahrtagentur NASA mitgeteilt, dass auch auf Ceres, dem Zwergplaneten im Asteroidengürtel, große Mengen an Wasser vorkommen. Die größte Überraschung war allerdings die Entdeckung von Wasser sogar schon in den interstellaren Molekülwolken, aus denen Sterne mit ihren Planetensystemen erst noch entstehen. Ein großer Teil des Wassers in unseren Ozeanen, das zeigten Analysen des Mischungsverhältnisses von normalem zu schwerem Wasser (H2O bzw. HDO), stammt bereits aus der Molekülwolke, der einstigen Wiege unseres Planetensystem. All diese beeindruckenden neueren Erkenntnisse stellen natürlich keinen Beweis für die Existenz technischer Zivilisationen im Weltall dar. Signale von Aliens, nach denen man im Rahmen des Projekts SETI (Search for Extraterrestrial Intelligence) schon seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts sucht, hat man jedenfalls bislang noch nicht gefunden.
Das »Forschungsnetzwerk Extraterrestrische Intelligenz« (FNI) ist eine freie Vereinigung von Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen. Auf der Webseite des FNI (www.eti-research.net) werden die Ziele so umschrieben: Das FNI solle »die Zusammenarbeit zwischen Natur- und Kulturwissenschaften auf dem Forschungsfeld ›Menschen und Außerirdische‹ vorantreiben und in diesem Zusammenhang eine Infrastruktur für den wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Austausch bieten«.
Ferner soll die Forschung zu den »Voraussetzungen der Entstehung und Entwicklung intelligenten Lebens (einschließlich postbiologischer Zivilisationen)« angeregt und kritisch begleitet werden. Auch seien die anthropozentrischen Vorannahmen bei der Suche nach außerirdischen intelligenten Lebewesen zu hinterfragen.
Das Netzwerk möchte zudem »das wissenschaftliche, zivilgesellschaftliche und politische Nachdenken über die kulturellen Folgen des Kontakts der Menschheit mit einer außerirdischen Zivilisation fördern« und Tabus der wissenschaftlichen Forschung möglichst eliminieren.
Die erste Konferenz des Netzwerks fand vor wenigen Wochen im Rahmen der 32. Tage der Raumfahrt in Mecklenburg-Vorpommern unter großer öffentlicher Beteiligung in Neubrandenburg statt. Zu dem Thema »Menschen und Außerirdische« ergriffen sechs Fachleute das Wort, darunter auch Zukunftsforscher, Wissenschaftsjournalisten und Physiker. Daniel Gerritzen, Mitglied des FNI, hat gerade sein Buch »Erstkontakt« herausgebracht, in dem er zu beantworten versucht, »warum wir uns auf Außerirdische vorbereiten müssen«. Der Mitinitiator des FNI, Michael Schetsche vom Institut für Grenzwissenschaften und Psychologie in Freiburg, startet derzeit ein Forschungsprojekt »Folgen asymmetrischer Kulturkontakte – futurologische Überlegungen zum Kontakt der Menschheit mit einer außerirdischen Zivilisation«. Möglicherweise können die Ergebnisse dieser Forschungen auch helfen, die vielfältigen Probleme ganz irdischer interkultureller Kontakte besser zu meistern. DBH
Für Science-Fiction-Autoren freilich ist das Thema einer Begegnung von Menschen mit Außerirdischen dessen ungeachtet schon seit Jahrzehnten ein Renner. Obschon ein Kontakt der Menschheit mit Außerirdischen derzeit noch rein hypothetisch ist, befassen sich aber neuerdings zunehmend auch immer mehr Wissenschaftler der verschiedensten Disziplinen mit diesem Problem, nicht zuletzt getrieben von der Science Fiction. Filme wie »Independence Day« oder der jüngst angelaufene US-amerikanische Streifen »Arrival« (Ankunft) veranlassen sowohl Astrobiologen wie auch Soziologen, Linguisten, Physiker und Philosophen zu Äußerungen, die aber auch erkennen lassen, dass es an einer systematischen Forschung auf diesem Gebiet noch mangelt. Es handelt sich vielmehr meist um hingeworfene Meinungsäußerungen extrem unterschiedlichen Inhalts und divergierender Sichtweisen. Einig sind sich die Autoren lediglich darin, dass ein Erstkontakt mit dem »maximal Fremden« weitreichende und noch völlig unabsehbare Folgen für die Menschheit haben würde. Für die Kontaktaufnahme sind ganz unterschiedliche Szenarien denkbar. Es könnte sich um einen reinen Fernkontakt handeln - die SETI-Forscher hätten endlich ein Signal, das auf Außerirdische schließen ließe. Für den Rest der Menschheit wäre es wohl nichts weiter als interessant. Je nach der Distanz, aus der das Signal stammte, wäre eine sinnvolle Kommunikation vielleicht sogar ausgeschlossen wegen der langen Signallaufzeiten. Ganz zu schweigen von der Schwierigkeit, die Signale zu entziffern und entsprechend verständlich zu antworten. Viel mehr Wirbel würde wohl die Entdeckung von Artefakten verursachen, etwa eine uns unbekannte, nicht von Menschen gemachte Sonde innerhalb unseres Sonnensystems oder Alien-Hinterlassenschaften auf Mond, Mars oder irgendwo sonst in unserer Nachbarschaft.
Der mit Abstand gravierendste Fall aber wäre ein direktes Aufeinandertreffen mit Besuchern aus dem All auf unserem Planeten. Würden die Aliens uns Menschen ähneln? Erkennen wir sie überhaupt? In welcher Absicht kommen sie hierher? Wie können wir uns mit ihnen verständigen? In jedem Fall handelte es sich bei diesem hypothetischen Fall um eine extrem asymmetrische Kulturbegegnung. Im Unterschied zu ähnlichen Erfahrungen aus der Menschheitsgeschichte wären aber diesmal nicht wir die Entdecker, sondern die Entdeckten. Was sollten wir dann tun? Niemand weiß es. Ein weltweiter kollektiver Schock wäre vermutlich die unausweichliche Folge. Der Germanist und SF-Autor Karsten Kruschel, der fest von der Existenz der Außerirdischen überzeugt ist, plädiert nachdrücklich dafür, die Frage nach einer direkten Begegnung mit einer hoch entwickelten technischen Zivilisation unbedingt im Blick zu behalten: »Alle bisherigen Szenarien über den Erstkontakt mit einer außerirdischen Zivilisation sagen sehr viel über den Menschen aus und über die Zeit, in der diese Szenarien erdacht wurden. Über die Außerirdischen hingegen sagen sie nichts … Dennoch halte ich diese Gedankenspiele für enorm wichtig, weil sie den Blickwinkel unserer Spezies erweitern, Ideen hervorbringen, die ohne diese Gedankenspiele nie entstehen würden.« Um jedoch mehr als nur »Gedankenspiele« zu betreiben, hat sich im Jahr 2015 in Deutschland ein »Forschungsnetzwerk Extraterrestrische Intelligenz« gegründet, dem gegenwärtig etwa 25 Wissenschaftler angehören. Die Gruppe steht erst am Beginn ihrer Aktivitäten. Man wird wohl noch oft von ihr hören.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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