CDU in die Opposition schicken

Wahlkampfleiter: 20 Prozent plus X für die LINKE klingen utopisch, sind aber erreichbar

  • Lesedauer: 8 Min.

In Ihrem ostbrandenburgischen Bundestagswahlkreis treten Sie als Direktkandidat ihrer Partei gegen AfD-Multifunktionär Alexander Gauland an. Haben Sie sich für ihn und die AfD schon eine spezielle Wahlkampfstrategie ausgedacht?
Ich habe etwas dagegen, dass wir auf die AfD starren wie das Kaninchen auf die Schlange. Sie ist ein unangenehmes Symptom. Ein reaktionärer Ausfluss jahrzehntelanger globaler neoliberaler Politik, welche auch in Deutschland und der Europäischen Union die Situation nach wie vor bestimmt. Wer die AfD wirksam bekämpfen will, muss sich vor allem für ein Ende dieser Politik des Deregulierens, Privatisierens, der Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums zu Gunsten der großen Konzerne und Vermögenden einsetzen und sich der schleichenden Militarisierung, der umfassenden gesellschaftlichen Entsolidarisierung und der zunehmenden autoritären Politik widersetzen. Für unser Land heißt das, die Große Koalition ablösen und die CDU in die Opposition schicken. Wenn SPD und Grüne bereit sind für einen Regierungswechsel, der einen solchen Politikwechsel zum Ziel hat, ist die Alternative Rot-Rot-Grün. Darum werde ich mich in meinem Wahlkampf hauptsächlich mit der Großen Koalition auseinandersetzen. Es geht darum, Wege für eine progressive Alternative aufzuzeigen und damit die eigenen Wähler zu mobilisieren.

Dabei muss die LINKE für ihre eigenen Inhalte stehen. Wir sind die Partei der sozialen Frage. Wir brauchen die Umverteilung von Reichtum zugunsten der Bedürftigen und der öffentlichen Haushalte, die Neuregulierung der öffentlichen Daseinsvorsorge und der Sozialsysteme, zum Beispiel um ein solidarisches Gesundheits- und Rentensystem für alle zu schaffen, gute Infrastruktur und ein gutes Bildungswesen finanzieren zu können. Der Kern der neoliberalen Logik, alles dem ungebremsten Wettbewerb zu überlassen, produziert jede Menge Verlierer. Die Eigentumsfrage, die von rechts durch die Kapitaleigner gestellt wird, müssen wir von links stellen - für die Menschen. Wir müssen uns für gute Arbeit und den sozial-ökologischen Umbau einsetzen, prekäre Arbeitsverhältnisse abschaffen und für bezahlbare Mieten sorgen - und dafür, dass von deutschem Boden kein Krieg mehr ausgeht.

Zur Person

Thomas Nord (LINKE) wurde im Oktober 1957 in Ostberlin geboren. Er lebt in Frankfurt (Oder), ist Kulturwissenschaftler und sitzt seit 2009 im Bundestag. Seit 2014 ist er Bundesschatzmeister seiner Partei. Von 2005 bis 2012 war er Parteichef in Brandenburg, jetzt ist er Landeswahlkampfleiter. Über den Bundestagswahlkampf 2017 in Brandenburg sprach mit ihm für »nd« Andreas Fritsche.

Foto: nd/Ulli Winkler

Im Landesverband Brandenburg sind mehr als die Hälfte der Sozialisten im Seniorenalter, zum Teil hochbetagt. Einen so breit angelegten Straßenwahlkampf, wie er aus den 1990er Jahren in Erinnerung ist, kann der Landesverband heute nicht mehr führen. Was tun?
Das Problem ist nicht neu, es begleitet uns bereits seit etwa 15 Jahren. Der Landesverband Brandenburg hat aber fähigen Nachwuchs. Es gibt viele talentierte junge Politikerinnen und Politiker, die heute schon große Teile der Parteiarbeit tragen. Einige benötigen für ihre Entwicklung noch etwas Zeit, die Geduld der Älteren, einen Vertrauensvorschuss und Freiräume, um sich auszuprobieren. Ich bin da eher optimistisch und auch der Bundestagswahlkampf wird uns da weiterbringen. Unser akutes Problem ist im Moment eher die Lücke bei den 35- bis 50-Jährigen. Nicht umsonst kandidiert für den Bundestag auf Platz drei der Landesliste die parteilose Anke Domscheit-Berg, die früher Landesvorsitzende der Piraten gewesen ist. Anke Domscheit-Berg ist eine gute Ergänzung und Bereicherung für uns, weil sie hilft, die Lücke zu füllen, und als linke, emanzipierte Frau aus Brandenburg sehr gut zu uns passt. Einige Genossinnen und Genossen sind anfangs skeptisch gewesen. Sehr viele, die sie persönlich kennengelernt haben, waren innerhalb einer Stunde bekehrt.

Insgesamt wird die Partei aber schrumpfen?
Nicht insgesamt, nicht bundesweit. Wir erleben in Brandenburg den Abschied von der PDS, von der Volkspartei, die überall in der Fläche Ostdeutschlands mit Multiplikatoren präsent war, mit Fachleuten und Kümmerern, die bei ihren Mitmenschen bekannt waren und hohes Ansehen genossen. Stattdessen haben wir heute in den urbanen Zentren, insbesondere in Westdeutschland und beispielsweise in Berlin, Zulauf von jungen Leuten. Das ist ein Verjüngungs- und Reorganisationsprozess, der noch fünf bis zehn Jahre dauern, aber gelingen wird. Die PDS wäre irgendwann gestorben, doch die LINKE wächst als Partei neu von unten. Das heißt aber, dass wir in ländlichen Regionen Ostdeutschlands, also auch in Brandenburg, eine Durststrecke überwinden müssen. Die LINKE wird bundesweit ihre zahlenmäßige Stärke halten, aber im Osten werden die Mitgliederzahlen noch heruntergehen. In Brandenburg haben wir im Moment noch rund 6500 Mitglieder, werden uns aber zwischen 5000 und 6000 sowie bei einem deutlich gesunkenen Altersdurchschnitt einpendeln, denke ich.

Kann man auch mit 6000 Genossen noch vernünftig Wahlkampf machen?
Natürlich. Die brandenburgische SPD erreicht mit rund 6000 Mitgliedern bei den Landtagswahlen 30 Prozent der Stimmen. Man kann also mit weniger, aber dafür sehr aktiven Menschen noch einen ordentlichen Wahlkampf hinlegen. Ich vertraue da auf die schon genannten hoffnungsvollen jungen Leute. Einige von ihnen sind zurzeit erstmalig Kreiswahlleiter. Sie haben so etwas zwar häufig noch nie zuvor gemacht, es gibt aber erstens keine personelle Alternative, da die alten oft nicht mehr zur Verfügung stehen, und zweitens haben diese jungen Genossinnen und Genossen viele Ideen. Selbst wenn nicht jede einzelne Idee funktioniert, die Fantasie und der Elan werden sich auszahlen.

Welches Wahlziel haben Sie?
Bundesweit wollen wir ein zweistelliges Ergebnis schaffen. In Ostdeutschland bewegt sich das Wählerpotenzial der Linkspartei bei rund 30 Prozent. Selbstverständlich kann man das Potenzial nie voll ausschöpfen, aber 2009 haben wir es zu 90 Prozent ausgeschöpft, gegenwärtig nur etwa zur Hälfte. Das zeigt, dass wir Reserven haben. 20 Prozent plus X klingen im Moment utopisch, sind aber erreichbar. Die Erfahrung zeigt: Wo es gelingt, mit Personen und Themen sowie ohne Streit in der Öffentlichkeit präsent zu sein, und wo es auch eine Perspektive für die Durchsetzung der eigenen Vorstellungen gibt, kann das Wählerpotenzial in höherem Maße ausgeschöpft werden.

Werden die Flüchtlinge nach Ihrer Einschätzung bei der Bundestagswahl 2017 noch das Thema Nummer eins sein wie es im Jahr 2016 bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl gewesen ist?
Die Fluchtbewegungen sind ein Teil der sozialen Frage und Produkt globaler Entwicklungen unter den Bedingungen neoliberaler Politik. Protektionistische Politik und nationale Abschottung wird nicht zur Lösung globaler Probleme führen. Bricht man nicht mit der neoliberalen Logik, verschärft man so die Migrationskrise noch. Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern auch für die Europäische Union und die globale Politik insgesamt. Der Tatsache, dass auf der Welt in naher Zukunft zehn Milliarden Menschen leben und zurzeit 61 Millionen Menschen auf der Flucht sind, kann man nachhaltig nicht durch den Bau von Mauern begegnen. Schon gar nicht, wenn hinter diesen die bisherige Politik der Umverteilung des Reichtums von unten nach oben verschärft fortgesetzt werden soll. Für humane Lösungen braucht man eine solidarische Politik in der Welt und in der EU. Die Politik in der Bundesrepublik spielt hier auch international eine beachtliche Rolle und es ist nicht egal, wie sie gestaltet wird.

Aber die Bundestagswahlen finden hier statt und daher muss man den Nachweis, dass es auch anders und besser geht, unter den Bedingungen hierzulande erbringen. Wer einen progressiven Politikwechsel in unserem Land, aber auch darüber hinaus will, muss daher den Bruch mit neoliberalen Gesellschaftsvorstellungen, die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums und die soziale Frage ins Zentrum des Wahlkampfes stellen. Die deutsche Rechte wird versuchen, genau diesen Politikwechsel zu verhindern - und um abzulenken, die Armen gegen die noch Ärmeren ausspielen und als Konsequenz der unmenschlichen Terroranschläge Ängste und Hass schüren. Die Auseinandersetzung wird also lauten: »Hoffnung statt Angst.« Genau das ist auch die Überschrift unserer Wahlstrategie.

Wäre die AfD ohne die Flüchtlingskrise nicht längst - wie viele der sporadisch aufkommenden Protestparteien vor ihr - zu einer unbedeutenden Splittergruppe geschrumpft?
Das sehe ich anders. Es gibt in Deutschland leider schon immer größere Teile der Bevölkerung, die reaktionäre, rassistische und nationalistische Grundpositionen vertreten. In der Vergangenheit gaben diese bei Wahlen zumeist CDU und CSU ihre Stimme. Die kosmopolitisch orientierte und zugleich neoliberale Politik von Angela Merkel hat große Teile dieser Wählerinnen und Wähler vergrätzt. Das hat der AfD trotz ihrer ebenfalls neoliberalen Grundpositionen den Platz geschaffen, um sich im Kampf gegen den Euro und in Abwehr der Eurokrisenpolitik insbesondere gegenüber Griechenland bei über fünf Prozent zu etablieren. Die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin wurde dann zur zusätzlichen rassistischen Mobilisierung durch diese Partei genutzt. Aber die AfD hat auch schon zuvor ausländerfeindlich polemisiert. Als die Flüchtlinge noch nicht da waren, ist die AfD in Ostbrandenburg etwa gegen die »polnische Grenzkriminalität« zu Felde gezogen. Die Flüchtlinge sorgten also für einen zusätzlichen Hype, sind aber nicht der alleinige Grund für den Aufstieg von Petry und Co. Rassismus braucht keine Flüchtlinge. Er ist ja in Deutschland bekanntlich dort am stärksten verbreitet, wo es die wenigsten Migranten gibt.

Wahrscheinlich würde die AfD ein Existenzproblem bekommen, wenn in der CDU/CSU wieder die Politik von Horst Seehofer mehrheitsfähig würde. Zwischen Seehofer und Petry gibt es ja mehr Gemeinsamkeiten als zwischen ihm und Merkel. Die Mehrheit der CDU-Parteitagsdelegierten steht, das konnte man kürzlich sehen, eigentlich auf seiner Seite. Würde die CDU abgewählt, würde Angela Merkel als Parteivorsitzende gehen und die Partei könnte endlich wieder so sein, wie sie die Mehrheit der Mitglieder gerne hätte. Dann würde die Luft für die AfD in der Tat dünn werden. Noch ein Grund mehr, die CDU in die Opposition zu schicken.

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