Rückkehr der Karavellen
Alberto Acosta sieht in dem Freihandelsabkommen zwischen der EU und Ecuador eine Fortsetzung des Kolonialismus mit anderen Mitteln
Davor können wir nun wirklich nicht die Augen verschließen: Die Klimakrise wird sich weiter verschärfen, wenn die übermäßige Produktion von Nahrungsmitteln und der Abbau von Mineralien sowie Erdöl durch noch mehr Freihandels- und Investitionsabkommen weiter angekurbelt wird. Schließlich nehmen die vom Klimawandel verursachten Probleme, mit den immer aggressiveren Handels- und Finanzströmen im Rahmen derartiger Abkommen, zu. Diese Verträge werden einzig und allein dafür entworfen und angewendet, um der ungebremsten Nachfrage von Kapitalakkumulation zu dienen, und nicht etwa den Bedürfnissen der Menschen.
Fast fünf Jahrhunderte sind seit der Ankunft der ersten Karavellen vergangen. Damals kam Christoph Kolumbus in den Ländern an, die später von den europäischen Eroberern als Amerika bezeichnet wurden und wo sie vor allem nach Gold, aber auch anderen Bodenschätzen suchten. Heute kehren die Konquistadoren mit denselben Zielen zurück, benutzen dafür aber modernere und ausgeklügeltere Mittel: Freihandelsabkommen (FTAs). In diesem Zusammenhang ist auch der jüngst unterzeichnete Vertrag zwischen der »progressiven« Regierung von Ecuador und der Europäischen Union zu verstehen. Das kleine Andenland ist damit einem Abkommen beigetreten, das schon einige Jahre zuvor von den neoliberalen Regierungen in Kolumbien und Peru geschlossen wurde.
Im Fall der ecuadorianischen Verhandlungen muss gesagt werden, dass diese zu einem Zeitpunkt der neoliberalen Hochphase geführt wurden. In der EU wird Arbeitsrecht geschliffen, die Finanzialisierung der Wirtschaft vorangetrieben, das Rentensystem abgebaut und die staatliche Kontrolle über bestimmte strategische Wirtschaftsbereichen verringert. Gleichzeitig wird der Dienstleistungssektor weiter privatisiert und die Märkte für genveränderte Produkte geöffnet.
Nicht vergessen werden darf der gescheiterte Versuch von Ende der 1990iger Jahre, ein Multilaterales Investitionsabkommen (MAI) zu etablieren, womit das transnationale Kapital eine Art Verfassung für den Aufbau einer weltweiten kapitalistischen Wirtschaft einführen wollte. Die Wege in diese kapitalistische Weltordnung sind vielfach. Mit den Freihandelsabkommen wird ein Puzzleteil zu dieser kapitalistischen Verfassung hinzugefügt. Eines der wichtigsten Puzzleteile ist das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP), ein Rahmenabkommen von fast globaler Reichweite für die Weltwirtschaft. Die Länder, die einen TLC mit der EU oder den Vereinigten Staaten abgeschlossen haben, würden dadurch ökonomisch noch viel mehr untergeordnet.
Genau diesem transnationalen Prozess ist Ecuadors Regierung von Präsident Rafael Correa mit ihrer Unterschrift unter den TLC beigetreten. Die Regierung, die mit starken revolutionären Antrieben gestartet war, ist schließlich in den neoliberalen Schoß zurückgekehrt. Im Laufe der Jahre haben sich Diskurse wie die Wiedergewinnung nationaler Souveränität, der Kampf gegen die Auslandsverschuldung, eine Abkehr vom Weltwährungsfonds (IWF) und Weltbank sowie der Widerstand gegen Freihandelsabkommen in Luft aufgelöst. In Ecuador vertieft sich der Neoliberalismus wieder, die Unterordnung des Menschen und der Natur unter die Monopolmacht des Kapitals nimmt wieder zu, wie wir es mit der Durchsetzung von Megabergbau unter der Kontrolle chinesischen Kapitals erleben.
Wir wissen genau, dass der internationale Handel seine Opfer wie eine Boa constrictor erst erstickt, bevor es sie dann schließlich verschlingt. Die Regeln des globalen Handels sind so ungerecht und ungleich, dass sie dieselbe auf dem Export von Rohstoffen basierende Produktivstruktur perpetuiert, wie sie vor 500 Jahren eingerichtet wurde. Der EU-Freihandelsvertrag mit Ecuador wird die Position Ecuadors als Rohstoffproduzent- und Exporteur verstärken.
Die größten Gewinner werden die großen Handelsunternehmen von Bananen, Blumen und Thunfisch sowie die Exporteure anderer natürlicher Ressourcen sein, also genau die Gruppen, die schon immer vom exportorientierten Akkumulationsmodus profitierten. Es stehen viele wirtschaftliche Interessen auf dem Spiel, den Status Quo von Ecuador als »Bananenrepublik« aufrecht zu erhalten. Das erklärt auch, warum wichtige Fragen wie die Migration hunderttausender Ecuadorianer nach Europa, aber auch soziale und ökologische Themen,Ernährungssouveränität, ursprüngliches und gemeinschaftliches Wissen, Artenvielfalt und schädliche Auswirkungen bestimmter produktiver Aktivitäten auf die Beschäftigungssituation, insbesondere von Bauern, in die TLC-Verhandlungen mit der EU nicht eingeflossen sind.
Schlussendlich hat die EU deutlich mehr zu gewinnen. Die TLCs, wie auch immer sie heißen, sind strategische Instrumente für die Interessen des transnationalen Kapitals. Sie zementieren Produktions- und Exportstrukturen, die auf dem Extraktivismus fußen und mit der Ankunft der europäischen Karavellen errichtet wurden. Für die Länder des Südens sind sie in keinster Weise geeignete Entwicklungsinstrumente, auch wenn feierlich immer wieder das Gegenteil behauptet wird.
Abschließend möchte ich ein Bedenken zur Sprache bringen. Wie erklären jene Gruppen der europäischen Linken, wie erklärt die LINKE, dass sie sich gegen TTIP stellen, aber den TLC von Ecuador mit der EU im Europaparlament unterstützt haben?
Alberto Acosta war 2013 in Ecuador als Präsidentschaftskandidat für das links-ökologisch-indigene Bündnis Unidad Plurinacional angetreten. Der Beitrag wurde übersetzt von Benjamin Beutler.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.