Journalistisches Roulette

Die Berichterstattung zum »russischen Einfluss« in den USA ist beschämender Anti-Journalismus

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 4 Min.

Dass die Geheimdienst-Kontrahenten des designierten US-Präsidenten Donald Trump auf den letzten Metern vor der Amtseinführung noch einmal alle Verleumdungsregister ziehen, ist nachvollziehbar. So ist Politik. Auch dass eine mediale US-Boulevard-Schleuder wie »Buzzfeed« ein höchst dubioses und durch nichts und niemanden belegtes »Dossier« mit Verschwörungstheorien zu Trump und Putin ohne jede Prüfung komplett veröffentlicht, muss man möglicherweise akzeptieren - zumal »Buzzfeed« offen einräumt, dass es den Inhalt nicht habe verifizieren können. Ebenso würde wohl niemand ernsthaft anzweifeln, dass der russische Geheimdienst (wie wohl alle Dienste der Welt) Dossiers über andere Staatschefs anlegt. Zu guter Letzt traut man Trump natürlich auch Sex-Orgien zu. Über all diese nicht besonders unwahrscheinlichen Fakten könnte man berichten - wenn es denn Beweise gäbe. Doch die gibt es nicht. Nicht einen einzigen. Es gibt nicht einmal die Ahnung eines Beweises, was man nach der medialen Berieselung der letzten Woche kaum glauben mag. Keine Beweise für russische Hacks, keine für politisch-wirtschaftliche Putin-Trump-Absprachen, und auch Trumps »goldene Duschen« in Moskau sind bislang reine Behauptung.

Und darum ist die bizarr unkritische Fortführung einer (bislang) absolut substanzlosen Geheimdienst-Schmutzkampagne durch große deutsche »Qualitäts«-Medien völlig inakzeptabel. Das ZDF hat am entscheidenden Tag der Veröffentlichung des US-Geheimdienstberichts zu »russischen Hacks« glatt verschwiegen, dass neben den längst bekannten CIA-Behauptungen kein einziger Beweis vorgelegt wurde. Auf seinem Videotext verkündete der Sender gar ohne jede Einschränkung als Fakt: »Putin befahl Wahlbeeinflussung«. Weil die neuen Anwürfe des »Dossiers« noch unseriöser zum Himmel stinken als die unbewiesenen »russischen Hacks der US-Wahl«, distanziert man sich in diesem Fall im letzten Satz immerhin halbherzig - nachdem man zum x-ten Male die klebrigen Vorwürfe wiederholt und als »schwerwiegend« bezeichnet hat. Die »Süddeutsche Zeitung« schreibt: »Die angeblichen Enthüllungen über Trump wiegen schwer«, und beschreibt sie nochmals detailliert. Dass die »Enthüllungen« jedoch nur dann solche sind und nur dann »schwer wiegen«, wenn man das »angeblich« streichen kann, müssen sich die Konsumenten großer deutscher Medien von ARD bis »Spiegel« dieser Tage dazudenken - nachdem sie sich erneut durch die umfangreichen Beschreibungen unbelegter Vorwürfe gearbeitet haben. Im Deutschlandfunk (DLF) belegten die unbelegten Anschuldigungen am gestrigen Donnerstagmorgen einen großen Teil der Nachrichtensendungen, es gab einen extra Bericht dazu und dann noch ein Interview mit einem »US-Experten« vom »Tagesspiegel«, bevor in der »Presseschau« zahlreiche andere Medien zum Thema zitiert wurden. In allen Beiträgen wurden die unappetitlichen und unbewiesenen Vorwürfe nochmals wiederholt. Als Rechtfertigung für solchen beschämend faktenlosen Anti-Journalismus folgte im DLF eine Reflexion darüber, dass man bei dieser trüben und ungeklärten Geschichte als Journalist in der Zwickmühle stecke: Man »müsse« doch schließlich über den Vorgang berichten - verdächtige Quellen hin oder her.

Doch welche Zwickmühle sollte das sein? Medien können, ja müssen tatsächlich über die ganz und gar nicht durchschaubaren aktuellen Vorgänge in den USA berichten. Doch sie müssen dabei doch nicht tagelang und detailliert die dubiose Version von dubiosen Geheimdiensten nachbeten. Die Meldung, dass in den USA ein mit harten Bandagen geführter Machtkampf ausgefochten wird, reicht völlig. Wenn irgendwann echte und belastbare Fakten zu Trumps Sexleben oder vaterlandsverräterischem Verhalten auftauchen sollten, kann man sie sicher nachreichen. In ihrer unseriösen Anti-Trump-Beflissenheit übertreffen viele deutsche Medien selbst US-Zeitungen wie die »New York Times« oder die »Washington Post«, die eher das Vorpreschen von »Buzzfeed« kritisieren, um dann das »Dossier« trotzdem ausführlich zu zitieren.

Erschwert wird jede Kritik am anti-journalistischen Gebaren vieler deutscher Journalisten durch die Person Trump, denn wer möchte schon als dessen Anwalt erscheinen? Doch um dessen Charakter oder Politik geht es gar nicht, sondern es geht um journalistische Prinzipien. Und die wurden und werden verhöhnt im Zuge der deutschen »Berichterstattung« über eine durch Russland »gehackte« US-Wahl und durch die exzessive und tagelange Wiederholung von durch nichts gestützten Geheimdienst-Anschuldigungen gegen Putin oder Trump.

Noch ein Wort zu den »Hacks« bei der Demokratischen Partei, wer immer sie ausgeführt hat: Diese unter der Überschrift »Fake News« zu verbuchen, ist ebenso irreführend wie die Darstellung, die »russischen Hacks« seien bewiesen. Denn die schockierenden Inhalte dieser Mails sind (im Gegensatz zu den von diskreditierten Geheimdiensten einfach nur behaupteten Sex- und Hackervorwürfen) authentisch, das sind die wirklich harten (unwidersprochenen!) Fakten. Die werden verdrängt von einer durchsichtigen, aber durch ihre mediale Kraft trotzdem wirkungsvollen Kampagne: Alle reden nur noch über die Russen.

Was aber ist, wenn sich die Vorwürfe doch als wahr herausstellten und sogar mit Beweisen untermauert würden? Würde das den Hellsehern des Medienmainstreams nicht rückwirkend Recht geben? Nein: Denn mit dieser Sicht verkäme Journalismus zum reinen Glücksspiel - in diesem Falle gar zum »russischen Roulette«.

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