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Landschaft und visuelle Archäologie

Der Fotograf Andréas Lang über ein unerforschtes Kapitel deutscher Kolonialgeschichte, unser aktuelles Afrikabild und eine Romantik, die sich mit dem ständigen Blick in den Abgrund befasst.

  • Lesedauer: 10 Min.

Was gab den Anstoß zu Ihrem Ausstellungsprojekt »Kamerun und Kongo«?
Ausgangspunkt war der Fund eines Tagebuchs und eines Fotoalbums meines Urgroßvaters auf dem Dachboden meiner Mutter. Dieses Material hat mich sehr beeindruckt. Für mich war es eine logische Weiterführung meiner bisherigen Themen, die sich mit Landschaften und Orten befassen, die sowohl eine geschichtliche als auch eine mythologische Prägung haben und sich in einem Grenzbereich zwischen imaginär und real, vergangen und gegenwärtig bewegen.
Als ich das Material meines Urgroßvaters las, war klar, dass es hier um deutsche Geschichte und ganz konkret die Kolonialgeschichte geht. Und plötzlich tat sich bei mir ein Panorama an Imaginärem auf, das aber in Bezug zu etwas ganz Konkreten, Historischen stand. Und gleichzeitig hatte ich ein fast unerforschtes Kapitel deutscher Kolonialgeschichte vor mir. Dieses Kapitel der Landnahme und Grenzziehung in Französisch-Kongo ist etwas, von dem kaum einer etwas weiß.

Das Bildmaterial der Ausstellung haben Sie zum Großteil selbst in der Region fotografiert. Welche Bedeutung hatten diese Reisen für Sie?
Zuerst einmal ging es darum zu schauen, was es dort noch gibt, also ob überhaupt noch etwas Sichtbares zu finden ist, was einerseits mit Kolonialgeschichte, aber andererseits mit der Geschichte meines Urgroßvaters und den Orten, an denen er tätig war, zu tun hat. Bei meiner ersten Reise, die ich durch ein Projektstipendium der Stadt München finanzieren konnte, wusste ich erst mal gar nicht, was auf mich zukommt. Es war völlig offen, ob in Bildern funktioniert, was ich empfunden hatte, als ich das Material meines Urgroßvaters sichtete. Vor Ort merkte ich dann aber ziemlich schnell, dass sich einiges auftut und viele Orte noch existieren.

Zur Person

Andréas Lang wuchs im rheinland-pfälzischen Zweibrücken auf, wo er zwischen 1983 und 1985 in einer Punkband spielte. Die Fotografie eignete er sich danach über Assistenzen bei Fotografen wie Dieter Blum an. Von 1991 bis 2001 lebte er in Paris als freischaffender Fotograf. Dem Thema Landschaft widmet sich Andréas Lang seit 1995, ausgehend von mitteleuropäischen Landschaften, zwischen 2006 und 2008 dann mit einem größeren Projekt im Nahen Osten, das sich mit den Kreuzzügen und dem frühen Christentum befasste. Das Gespräch führte Felix Koltermann.

Wie waren die Reaktionen der Menschen in der Region bei Ihrer fotografischen Spurensuche?
In der Regel wurden mir großes Wohlwollen, Neugier und auch Interesse entgegengebracht. Aber oft auch Anerkennung, dass sich jemand diesem Kapitel widmet, das ja ein sehr leidvolles Kapitel für die Menschen vor Ort ist. Ich habe auch eine große Hilfsbereitschaft erfahren, vor allem im extremen Norden Kameruns. Dorthin ging meine erste Reise, weil mein Urgroßvater dort seine erste Tätigkeit in einem Posten am Fluss Logone bei der Kolonialverwaltung hatte. Dort habe ich eine unglaubliche Gastfreundschaft und Freundlichkeit erfahren, was mich ermutigt hat weiterzumachen.

Zur Beschreibung Ihrer Arbeitsweise benutzen Sie in der Regel den Begriff der »visuellen Archäologie«. Was verstehen Sie darunter?
In meinem Verständnis ist ein Archäologe jemand, der sich durch verschiedene Zeitschichten gräbt um etwas ans Licht der Gegenwart zu holen, das ihm Erkenntnisse über die Vergangenheit geben kann. Ich sehe meine Arbeit ähnlich, nur dass ich es auf visueller Ebene mache. Ich suche nach Schichten der Vergangenheit, um sie in der Gegenwart sichtbar zu machen und wirken zu lassen. Das hat auch etwas Detektivisches. Und auch im Konkreten ist vieles von dem, was ich suche und später fotografiere, ja erst einmal gar nicht offensichtlich. Da gibt es also einige Parallelen zur Archäologie.

Lassen Sie uns auf Ihre Ausstellung im Deutschen Historischen Museum zu sprechen kommen. In der Mitte des Raumes haben Sie eine Videoinstallation platziert, deren Sound - das Geräusch des Regens - im ganzen Raum zu hören ist. Welche Bedeutung hat diese Arbeit für Sie?
Ich empfinde diese Arbeit als sehr vielschichtig und ein gutes Beispiel dafür, wie ich mit Orten und Landschaften umgehe. Einerseits hat man auf dem Video dieses Reale, diesen gespenstisch neogotischen Pylon der Hängebrücke aus der Kolonialzeit auf der anderen Talseite, der wie ein Fremdkörper, ein Phantom im dichten afrikanischen Regenwald wirkt. Anderseits werden alle möglichen Assoziationen geweckt, da das Ganze ja irgendwie auch ein bisschen wie ein Filmset von Indiana Jones aussieht. Der Ort steht also auch exemplarisch für die Sehnsucht, die viele Europäer mit dem Projekt Kolonialismus verbunden haben. Aber gleichzeitig schwebt die Brücke auch über einem realen Abgrund und droht, irgendwann in die Tiefe zu stürzen.

Sie zeigen in der Ausstellung auch ganz konkret Gebäude aus der kolonialen Vergangenheit, wie auf dem Bild »Residentur«. Welche Funktion hat das Gebäude heute und was erinnert an seine koloniale Vergangenheit?
Das Gebäude ist heute das Rückteil eines aktuell genutzten Verwaltungsgebäudes aus französischer Zeit. Das Rückteil aus deutscher Zeit ist weitgehend dem Verfall preisgegeben und hat heute keine Funktion mehr. Ich habe den Ort gefunden, weil ich ein historisches Foto von meinem Urgroßvater hatte, was das Gebäude intakt zeigt und mir ermöglicht hat, es wiederzufinden. Hilfreich war auch der Vermerk auf dem Bild, dass es sich um die Residentur der Deutschen Tschadseeländer handelte. Diese Suche ausgehend von einem historischen Foto ist beispielhaft für den Prozess der visuellen Archäologie.

Bilder wie das gerade besprochene stehen für mich sehr stark in einer dokumentarischen Bildtradition. Wie verorten Sie sich selbst dazu?
Ich würde sagen, dass es bei mir eher ein Zwischenbereich ist. Ich sehe mich nicht als Dokumentarfotograf, da sich meine Arbeit stärker im Narrativen bewegt. Das Dokumentarische, was ich im Hier und Jetzt zeige, ist für mich ein Prätext, um dem Narrativ zu dienen, das ich mit meiner Arbeit verfolge. Es geht mir eher um das Bild hinter dem Bild als die Dokumentation des Ortes als solchem in seiner jetzigen Funktion. Ich glaube, es ist die atmosphärische Dichte der Bilder, mit der ich mich von der Dokumentarfotografie absetze. In der Regel wird ja in der Dokumentarfotografie um eine gewisse Genauigkeit und Sachlichkeit gerungen. Mir geht es jedoch nicht darum, den Ort unbeeinflusst von meinen Empfindungen wiederzugeben, sondern es geht vor allem um meine Empfindungen und meinen Blick darauf.

In Beschreibungen zu Ihrer Arbeit findet sich immer wieder der Begriff der Romantik. Gerade in Bezug auf die Beschäftigung mit der kolonialen Vergangenheit ist das ja durchaus zwiespältig, da mit dem romantischen Blick meist eine Sehnsucht und eine Verklärung der Vergangenheit verbunden wird. Wie machen Sie den Begriff der Romantik für sich fruchtbar?
Also zuerst einmal hat die Romantik, wie sie allgemein oder populär verstanden wird, nicht immer etwas mit der eigentlichen Romantik zu tun, die sehr viele Abgründe aufweisen kann. Wenn man zum Beispiel die Bilder von Caspar David Friedrich wie »Der Mönch an Meer« ansieht, über das Kleist geschrieben hat, es würde auf einen wirken, als ob einem die Augenlider abgeschnitten wären, dann geht es auch um etwas Unausweichliches. Für mich hat die Romantik eine Schönheit, die sich ganz stark mit etwas Vergänglichem und Existenziellem vermischt und sich auch mit einem ständigen Blick in den Abgrund befasst.
Aber das ist natürlich ein interessanter Grenzbereich und mir ist bewusst, dass ich damit auch eine dünne Linie beschreite. Denn im Endeffekt ist bezogen auf Afrika und den Kolonialismus diese Sehnsucht etwas Reales, das sich bis heute findet. Unser Afrikabild ist ja entweder das von Krieg und Elend oder eben die Postkarte mit wilden Tieren und das damit verbundene Projektionsfeld. Und dazwischen ist dann nicht mehr viel. Deshalb finde ich es spannend, diese Grenzbereiche auszuloten. Für mich geht das Konzept da auf, wo das Bild mehr beinhaltet als das Bild an sich, wo das Bild die Vielschichtigkeit und auch die Ambivalenz des europäischen Blicks zeigt.

In der Ausstellung stellen Sie den zeitgenössischen fotografischen Reflexionen historische Fotografien deutscher Kolonialisten gegenüber. Was zeigen diese historischen Bildkonvolute?
Mir war wichtig, die teilweise brutale Realität und das Ungeschönte des Kolonialismus sichtbar zu machen, die sich in diesen Bildern findet. Deswegen werden die Bilder in der Ausstellung groß an die Wand projiziert. Es war ein Glücksfall, dass ich die Privatalben des Offiziers Jesco von Puttkamer und des bayrischen Eisenbahningenieurs Sedlmayr, der die Edea-Mittellandbahn gebaut hat, überhaupt entdeckt habe. Das war auch deswegen wichtig, um durch eine Aufarbeitung der historischen Dimension über meine eigene Familiengeschichte hinauszugehen.

Ein wichtiges zeithistorisches Dokument in Ihrer Ausstellung ist eine Karte aus dem Marokko-Kongo-Vertrag des Jahres 1911. Wie haben Sie diese Karte gefunden?
Ich erhielt im Jahr 2016 das »Artist in residence« des Auswärtigen Amts und des Landesverbands Berliner Galerien und hatte ein Atelier auf dem Dach des Auswärtigen Amts. Mir wurde klar, dass es ja eine direkte Verbindungslinie vom Reichskolonialamt zum Auswärtigen Amt gibt und möglicherweise im Archiv noch Dokumente darüber zu finden sind. Ich habe dann im politischen Archiv nach dem Marokko-Kongo-Vertrag geforscht und diesen auch gefunden. Der Vertrag besteht aus zwei dicken Ordnern mit mehreren hundert Seiten, wo alles bis ins kleinste Detail festgelegt ist. Die Karte lag dem Vertrag bei. Darauf hatte der französische Gesandte mit dem Buntstift die neue Grenze eingezeichnet. Und das musste dann vor Ort durchgeführt bzw. umgesetzt werden, weshalb diese deutsch-französische Grenzexpedition auf die Beine gestellt wurde, in der mein Urgroßvater als Sergeant für die Soldaten und Träger verantwortlich war. Die sind dann in das Gebiet und haben in einer absurden Aktion neun Meter breite Grenzschneisen durch den Urwald und die Sümpfe geschlagen, um die Linien von der Karte ins Territorium zu übertragen.

Ihre Ausstellung im DHM läuft parallel zu einer großen Sonderausstellung zum deutschen Kolonialismus. In welcher Beziehung steht Ihre Ausstellung zu dieser Schau?
Meine Ausstellung war ursprünglich in Kooperation mit einem kamerunischen Künstler geplant, den ich bei meiner ersten Reise in die Region kennengelernt habe. Aber leider konnte er eine Ausstellungsbeteiligung in diesem Jahr nicht mit seinem Kalender vereinbaren. Deswegen musste ich das Konzept ändern und neu aufstellen. Meine Ausstellung wurde vom DHM als Ergänzung gedacht, was in gewisser Weise auch funktioniert. Gewünscht hätte ich mir in meiner Ausstellung eine etwas umfangreichere Textbegleitung, da einige Besucher sich etwas alleine gelassen fühlen. Aber natürlich bin ich froh, an einem so wichtigen Ort mit so großer Außenwirkung auszustellen.
Auf inhaltlicher Ebene verlaufen die Ausstellungen weitgehend nebeneinander her. Wobei es natürlich Objekte wie das Maxim-Maschinengewehr gibt, das in der Kolonialismus-Ausstellung als reales Objekt steht und bei mir als Fotografie der Installation eines Nachbaus des kamerunischen Künstlers Dieudonné Fokou auftaucht. Und natürlich finden sich in beiden Ausstellungen koloniale Fotoalben. Aber der Umgang damit ist ein völlig anderer. Nur das Fotoalbum in der Vitrine hätte mir nicht gereicht. Mir war es wichtig, dass die Vergangenheit und die harte, abgründige Realität des Kolonialismus über die Größe der Projektion im Ausstellungsraum gegenwärtig wird. Für mich ist das historische Objekt vor allem ein Anlass, etwas damit zu machen. Die Historiker fahren da einen anderen Kurs und haben auch andere Ansprüche.

Wenn ich mir Ihr fotografisches Schaffen der vergangenen Jahre anschaue, sehe ich eine Entwicklung hin von eher poetischen Arbeiten hin zu einem konkreten, an politischen Themen ausgerichteten Arbeiten. In welche Richtung möchten Sie weiterarbeiten und gibt es konkrete Ideen?
Zurück geht es auf keinen Fall, denn man entwickelt sich ja immer weiter. Für mich war die Beschäftigung mit dem Kolonialismus ein weiterer wichtiger Schritt hin zu einer Beschäftigung mit konkretem Material, das aus dieser Zeit existiert und das ich in meine Arbeit integriere. Wie der nächste Schritt aussieht, dass ist nochmal etwas Anderes. Ich lasse das immer auf mich zukommen. Ich bin ja kein Konzeptkünstler, der immer schon alles vorher weiß. Und die nächste Tür, die aufgehen wird, ist schon da. Ganz konkret habe ich eine Einladung aus Nigeria vom Goethe-Institut in Lagos, um über ein Viertel zu arbeiten, das bewohnt und aufgebaut wurde von zurückgekehrten Sklaven aus der Region. Das Kolonialismusprojekt ist übrigens auch ein Filmprojekt geworden, für das ich noch eine Finanzierung suche.

In Ihrer Biografie findet sich immer wieder der Hinweis darauf, dass Sie zwischen 1983 und 1985 Schlagzeuger in der Punkband Nasse Hunde waren. Warum ist Ihnen dies so wichtig und inwiefern steht es in Bezug zu Ihrer heutigen Tätigkeit?
Also das ist mir in der Tat sehr wichtig. Ich komme ja aus einer pfälzischen Kleinstadt, was eine sehr enge Sache ist. Die Zeit mit den Nassen Hunden war wie ein Befreiungsschlag für mich, sowohl aus der familiären als auch der provinziellen Enge, aber auch um die eigene Wut zu kanalisieren, die ich als Reaktion auf vielerlei Dinge hatte. Manche wundern sich über diesen Punkt in meinem Lebenslauf. Das Schöne ist, dass David Van Reybrouck das in seiner Eröffnungsrede aufgegriffen hat. Er stellte die These auf, dass mein besonderer Blick auf die Romantik existenzialistisch ist und sicher auch etwas damit zu tun hat, dass ich Drummer in einer Punkband war.

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