Dieses Jahr wird Schule machen
Thüringen: 2017 wird sich zeigen, ob und wie die zentralen Instrumente der Bildungspolitik von Rot-Rot-Grün wirken
Etwa zehn Tage muss sich Thüringens Bildungsministerin Birgit Klaubert noch gedulden, bis sie wieder einmal einen für Politiker angenehmen Termin wahrnehmen kann, der etwas mit Schulen zu tun hat. Dann nämlich wird die LINKE-Politikerin auf einer Festveranstaltung in Erfurt bekannt geben, welche Thüringer Schulen ihre Schüler am besten zur Ausbildungsreife führen - weil sie einen Wettbewerb gewonnen haben, der »Starke Schulen« heißt.
Doch jenseits dieses Wettstreits? Sind Thüringens Schulen insgesamt wirklich stark? 2017 dürfte sich das maßgeblich zeigen. Ebenso dürfte sich zeigen, ob die zentralen Instrumente tatsächlich wirken, mit denen Rot-Rot-Grün die Schulen im Land »noch besser« - Ausdruck der Landesregierung - oder »wenigstens wieder funktionsfähig« - Ausdruck von Gewerkschaftern und Eltern - machen will: die Neueinstellung von 500 Lehrern pro Jahr und die Verbeamtung junger und relativ junger Pädagogen.
An Thüringens allgemeinbildenden Schulen fallen derzeit so viele Unterrichtsstunden ohne jede Form von Ersatz oder Vertretung aus wie nie zuvor seit die entsprechende Statistik des Bildungsministerium digital geführt wird, also dem Schuljahr 2003/04. An nicht wenigen Schulen sieht der Vertretungsplan deshalb so aus, wie jener an der Lautenbergschule in Suhl dieser Tage Donnerstag aussah. Dort hieß es in Abkürzungen, die Lehrer und Schüler in ihrer vollen Bedeutung nur allzu gut verstehen: »Ru Frau Stief fällt aus; Nw Frau Mähler fällt aus; DG Frau Hoffmann fällt aus; Fr Frau Schübel fällt aus.«
Gemessen wird der Unterrichtsausfall in Thüringen nicht kontinuierlich, sondern aus Gründen der Bürokratievermeidung zu bestimmten, festgelegten Vergleichswochen. Die jüngste dieser Vergleichswochen lag im November. Und damals fielen nach Angaben eines Sprechers des Thüringer Bildungsministeriums insgesamt 5,1 Prozent aller Unterrichtsstunden an den allgemeinbildenden Thüringer Schulen ersatzlos weg - wobei vor allem Regelschulen und Gymnasien Stunden streichen mussten, während Grundschulen weniger stark vom Unterrichtsausfall betroffen waren.
Die Ursachen für den aktuell so hohen Unterrichtsausfall, sagt ein Sprecher von Ministerin Klaubert, seien vor allem die geringen Lehrerneueinstellungen in den vergangenen Legislaturperioden sowie langfristige und kurzfristige krankheitsbedingte Ausfälle. Klaubert selbst räumt ein, an diesen Zahlen gebe es »nichts zu beschönigen«. Und weiter: »Wir haben die Kehrtwende noch nicht geschafft.« Zudem macht sie deutlich, dass der Großteil ihre Hoffnungen, in Zukunft würden weniger Stunden als bislang ausfallen, auf den 500 Lehrern ruhen, die Rot-Rot-Grün jedes Jahr neu einstellt und auch in Zukunft einstellen will. Das wirke langfristig, sagt Klaubert. »Mit den neuen Kolleginnen und Kollegen verringert sich kontinuierlich das Durchschnittsalter der Lehrer. Damit reduzieren sich auch die krankheitsbedingten Ausfälle.« Alles in allem habe Thüringen nämlich nicht zu wenig Lehrer - nur zu wenig Lehrer in den Schulen.
Wenn zwischen dem Amtsantritt von Rot-Rot-Grün und Ende 2017 etwa 1500 neue, junge Pädagogen in den Thüringer Schuldienst eingestellt sein werden, müssten sich zum Jahresende zumindest erste Anzeichen dafür erkennen lassen, was denn nun stimmt: Entweder die Behauptung Klauberts, mit diesen jungen Lehrern werde sich die Situation verbessern: weniger Unterrichtsausfall, zufriedenere Lehrer, motiviertere Schüler. Oder die Behauptung von Bildungsgewerkschaftern und Lehrervertretern, die im Kern seit Langem argumentieren, Neueinstellungen in dieser Größenordnung würden den Untergang des Schulsystems zwar verlangsamen, nicht aber aufhalten - schon weil altersbedingt regelmäßig mehr als 500 Lehrer pro Jahr aus dem Landesdienst ausschieden.
Gleichzeitig wird sich Ende 2017 sagen lassen, ob die Wiedereinführung der Verbeamtung für Lehrer wirklich das bringt, was sich Klaubert sowie Bildungsgewerkschafter und Lehrervertreter in seltener Einigkeit davon versprechen - und Kritiker nachhaltig bezweifeln. Nämlich, dass es dem Freistaat gelingen wird, Jahr für Jahr nicht nur irgendwelche Lehrer neu einzustellen. Sondern exakt die Lehrer, die eine Fächerkombination mitbringen, die in Thüringen an einer ganz bestimmen Schule auch gesucht wird. Ab Sommer sollen die Pädagogen des Freistaat wieder verbeamtet werden, denen diese Vorzugsbehandlung bisher entweder noch nicht zuteil geworden ist oder die dann neu in den Staatsdienst eintreten sollen. Das Versprechen: Dann werden sich wieder mehr junge Lehrer für den Thüringer Schuldienst interessieren.
Viele Eltern allerdings würde es überraschen, sollte sich im Dezember des laufenden Jahres die Lage an den Schulen im Freistaat positiver darstellen als in den vergangenen Jahren und derzeit. Weil sie nach den Erfahrungen, die sie Tag für Tag mit dem Thüringer Bildungssystem machen, die erfolgten und geplanten Neueinstellungen - ähnlich wie die Gewerkschafter und Lehrervertreter - für viel zu gering halten. Und weil sie - anders als die Gewerkschafter und Lehrervertreter - kein übermäßiges Vertrauen in die These haben, dass die Verbeamtung ein zentrales Element ist, um mehr und passende Lehrer an die Schulen im Land zu bringen.
»Nach meinem Dafürhalten wird diese Koalition die Sache mit dem Unterrichtsausfall und dem Lehrermangel nicht mehr wuppen können«, sagt der Sprecher der Landeselternvertretung für die Grundschulen, Steffen Reiche-Römuß. Die neu eingestellten Lehrer »verpufften« im System, während gleichzeitig Ministerpräsident Bodo Ramelow (LINKE) und seine Finanzministerin Heike Taubert (SPD) »bei der Einstellung von ausreichend neuen Lehrern auf der Bremse stehen«. Der Landeselternsprecher für die Gymnasien, Roul Rommeiß, sieht das ganz ähnlich.
Es gab lange kein Jahr mehr, dass die Schulen in Thüringen so sehr prägen wird wie 2017. Wie diese Prägung aussehen wird, ist völlig offen.
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