Kuriose Gestalten voller Schäden

Die Guardini Galerie zeigt die Ausstellung »Das Bild« mit 100 Zeichnungen von Joachim John

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Sammlung hing zu Jahresende 2016 schon in der Dresdener Galerie des ältesten Sohnes Holger John. Zur Vernissage sprach Matthias Flügge, Rektor der Hochschule für Bildende Künste Dresden. Fachkundig, voll Bewunderung seine Worte. John habe künstlerisch neue Dimensionen erschlossen, welche die Oberflächen zeitgenössischer Rituale weit hinter sich lassen. Seine Kunst sei immer auf der Seite der Gequälten und Entrechteten gewesen. Sie verzichte jedoch darauf, vordergründig »politisch« zu sein. Flügge zeigte sich überrascht von der Neuartigkeit vieler Zeichnungen. Etwa 100 zumeist kleinformatige Arbeiten auf Papier waren zu sehen. Welch Glück: Die Berliner Guardini Galerie mit ihren idealen Räumlichkeiten hat die Ausstellung übernommen. Auch hier redete Flügge zur Eröffnung, ausführlicher als in Dresden.

»Ich beginne ja alle paar Jahre zu malen«, so John in einem Brief von 2015, »und breche immer grauenhaft ein. Jetzt ist es wieder soweit.« Solche Klagen sind nicht wörtlich zu nehmen. Der Künstler, bei Fritz Cremer zum Meister geworden, meint schlicht, gelegentlich komme eben der Moment, aufzubrechen, um es einmal anders zu machen. John war nie Abstrakter, aber bisweilen hat er dem »lebendigen Leben«, was immer das meine, den Rücken gekehrt.

Indes: gegenständliche Elemente verschwinden nie ganz. Wichtig in letzter Zeit: Bildlichkeiten basieren auf musikalischen Strukturierungsverfahren. Entsprechungen sind sinnbildlich eingewoben. In Johns Werkstatt erklingt viel Musik aus dem CD-Player: Schostakowitsch, Prokofjew, Katzer, Schenker, Goldmann, Kochan, Mendelssohn, Bach, kein Wagner. Bestimmte Stücke hört er immer wieder. Das blieb nicht ohne Folgen. Irgendwann fanden sich - vielfach vermittelt - Prinzipien der Variation, rhythmische, dynamische, metrische und sonstige Verfahren in Bildkompositionen, wieder. Das Tableau mit zehn Zeichnungen (Feder, Pinsel, Tusche) von 2014 macht das anschaulich. Kleckse, Linien, Quadrate, Kreise bilden Reihen nach dem Muster durchbrochener Zwölftonreihen, die Schönberg erfand. Eine Zeichnung markiert frei im Blatt schwebende Ohren. Nach dem abfallenden Glissandoprinzip geraten sie immer kleiner.

Im nächsten Bild crescendierende, retardierende Abläufe. Da blähen sich Schläuche immer mehr auf, Schleifen und Scheiben springen hervor, verengen sich wie der Konus und münden in aufgefädelte Körper ohne Kopf. Dazu tritt polyphon weiteres Phantasiematerial. Andere Werke zeigen Trichterförmiges, es könnten Trichter von Blasinstrumenten sein. Einen Schritt weiter fällt ein Cellokörper ins Auge, in zwei Hälften geteilt wie die weinenden und zugleich lachenden Clownsgesichter des Jahrmarkts. Köpfe, schwarze, ungestalte, winden sich im nächsten Bild wie Melodiegirlanden durch die ohnehin angefüllte Fläche.

Die Kreatur, in gekritzeltes Schwarz-Weiß gestellt. Chaos der Welt? John ist hochsensibilisiert. Er zählt zu den vielen, die klaren Auges sehen, wie die Welt auseinanderfällt ohne Aussicht auf Besserung, vorläufig. Derlei führt ihm mit die Feder. Zeichnerisch begab er sich ins Innerste der »Verwandlung«, die Kafka in seiner Erzählung beschrieb. 50 Blätter entstanden auf das Ungeheuerliches hervorbringende Insekt.

Kein Ende minimalistischer Detailzeichnung: Ein Maul schnappt nach einem kleineren Maul und so fort. Gliedmaßen kreuzen sich, als würden polyphone Stimmen gegeneinander laufen. Genau ist das alles nicht auszumachen. John schafft Rhapsodien aus Klarheit und Unklarheit in einem. Augenfällig auch jenes Phantasiegebilde, worin, so scheint es, Wolken kumulieren. Daran hängen Noten mit Köpfen, als bildeten sie eine Tonleiter. Daneben ganz schlicht: Eine Katze balanciert auf einer Leine. Es sind atonale Landschaften ohne harmonisch festen Grund, die John komponiert hat, Himmel ohne Geigen, weiße Blätter, durchsetzt mit hundertfältig konturiertem Schwarz, darin kuriose Gestalten voller Schäden und Wunden sich grotesk aussingen.

Besonders kostbar die Serien der Farbzeichnungen. Unerhört schön sind die kunstvoll auf reine Farbkomposition setzenden, tiefer gehend die jähen Kontraste verbildlichenden Arbeiten. Es sind wirkliche Novitäten. Autonom hängt das etwas größere Blatt »Marsch«. Es trägt die Inschrift »Wie früher Geister kamen aus Vergangenheit, so jetzt aus Zukunft ebenso« (Bertolt Brecht). Wie George Grosz einst gemalt hat, oben die Geldsäcke, unten die Ausgeplünderten, verteilt John nach unten die Gräber der schmutzigen, zerschossenen Toten, nach oben die Schar gräulicher Gesellen mit Krone, Stahlhelm, Fahne, Eisernem Kreuz. Trotz anderer Begriffe, das Bild meint die marschierenden Zukünftler des Jetzt und Hier. Etwas weg davon die Zeichnung, welche das starre, einsame, menschenleere Boot auf schwarz schraffierten Wellen bewahrt, ein Gefährt, das in jedem Moment unterzugehen droht.

Joachim John begeht an diesem Freitag seinen 84. Geburtstag. Die Ausstellung »Joachim John: Das Bild« ist noch bis zum 11. Februar in der Guardini Galerie in Charlottenburg zu sehen.

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