Präsident demonstriert gegen Regierung
Massenproteste gegen das Vorhaben der rumänischen Regierung, Gnade gegen korrupte Politiker walten zu lassen
Viele Hauptstädter wollten am Dienstag den Feiertag der Vereinigung genießen, bevor es nach einem kurzen Karpaten-Ausflug wieder an die Arbeit geht. Schnee in den Bergen und ein langes Wochenende luden zur Entspannung ein. Doch die politische Situation gönnt keine Ruhe. Die erst seit Anfang des Jahres regierende Sozialdemokratische Partei (PSD) plant, Tausende Straftäter per Eilverordnung zu begnadigen und mehrere Tatbestände wie etwa Amtsmissbrauch zu entkriminalisieren.
Die offizielle Begründung weist auf unzumutbare Bedingungen in den überfüllten Gefängnissen. In der Tat wird bald das Europäische Gericht für Menschenrechte zu einer Sammelklage sein Urteil sprechen - dem Land drohen massive Geldstrafen.
Doch von der Gnade der Regierung würden nicht nur »normale« Straftäter, sondern auch zahlreiche wegen Korruption verurteilte Politiker und Geschäftsleute profitieren. Dazu gehören nicht zuletzt führende Vertreter der PSD und deren Vorsitzender Liviu Dragnea höchstselbst. Der geplante Schritt löste bereits in der vergangenen Woche eine Wut- und Protestwelle in der Hauptstadt und anderen Zentren aus.
Die Vorgehensweise des Kabinetts wirkte so merkwürdig wie der Vorwand fadenscheinig. Zum einen ist nicht nachvollziehbar, warum das Strafgesetzbuch am Parlament und am Präsidenten vorbei per Eilverordnung geändert werden müsste. Zum anderen würde die Entkriminalisierung von Amtsmissbrauch und grober Fahrlässigkeit im Amt den Staatsanwälten einen Strich durch die Rechnung machen. Sie haben Hunderte Akten gegen frühere oder amtierende Bürgermeister, Staatssekretäre und Abgeordnete gefüllt mit Ermittlungen gegen Beamte oder gewählte Politiker. Jene, die öffentliche Gelder für Luxusautos ausgeben oder Aufträge an ihre Günstlinge vergeben, könnten davonkommen, wenn keine andere Straftat bewiesen werden kann.
Am Sonntag gingen mehr als 30 000 Menschen in Bukarest auf die Straße, statt in den kurzen Winterurlaub. Mit dabei war zur allgemeinen Überraschung auch Präsident Klaus Johannis. Der verurteilte die Pläne der Regierung scharf und sprach von einer »Bande korrupter Politiker«. Eilverordnungen des Kabinetts müssen nicht vom Staatschef unterzeichnet werden, um sofort in Kraft zu treten - also kann Johannis das Vorhaben nicht blockieren.
Der rechtsliberale deutschstämmige Politiker gewann 2014 die Präsidentschaftswahl gegen den damaligen PSD-Chef Victor Ponta. Doch die Sozialdemokraten feierten im Dezember 2016 einen haushohen Sieg über das bürgerliche Lager, das vor allem bei der Mittelschicht in Bukarest und in den Großstädten Siebenbürgens populär ist. Während die PSD vor allem Lohn- und Rentenerhöhungen versprach, präsentierte sich Johannis als Vertreter eines neuen, »deutschen« Politikstils: sachlich, fleißig, ehrlich - und vor allem gegen die Korruption politischer Eliten.
Die erste Amtszeit des Präsidenten läuft erst im November 2019 ab. Die ungewöhnliche Teilnahme an einem Straßenprotest gegen die Regierung deutet deshalb auf einen frühen Wahlkampf hin. Johannis bleiben in der aktuellen, extrem angespannten Situation höchstwahrscheinlich auch wenig andere Optionen, wenn er nicht in die Bedeutungslosigkeit verschwinden möchte.
Kein Geheimnis ist zudem, dass die rumänische Wirtschaft kräftig wächst. Unter den Sozialdemokraten profitieren davon endlich auch jene ärmeren Schichten, die sich seit der Wirtschaftskrise hauptsächlich mit Kürzungen und Kaufkraftsenkungen konfrontiert sahen. Wenig überraschend ist es also, dass sich diese traditionellen Wähler der Sozialdemokraten mit deren Korruptionsaffären eher nachsichtig zeigen. Dem gespaltenen Land droht mit dem neuen, offen ausgetragenen Konflikt aber eine neue politische Krise.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.