Erste Prügel im Jahr sollen frei sein

Russlands Parlament will häusliche Gewalt »entkriminalisieren«

  • Klaus Joachim Herrmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Es bedurfte der Zustimmung der Staatsduma zur Strafmilderung bei häuslicher Gewalt in erster Lesung, bis die Gewerkschafter mit Protest herauskommen. Vor der 2. Lesung am 25. Januar im Parlament nennt die Konföderation der Arbeit Russlands (KTR) die Position der Verfasser »fehlerhaft«. Das Vorhaben drohe der Familie einen »ernsten Schaden« zuzufügen. Deshalb schließe sich die Konföderation den gesellschaftlichen Organisationen an, die gegen eine »Entkriminalisierung« der Prügelei auftreten. Von einer Annahme des Gesetzes werde abgeraten.

Die bisherige Mehrheit in der russischen Staatsduma darf sich trotzdem bestätigt fühlen. Zwischen den Lesungen des Gesetzentwurfes zur Milderung der Strafen für die Ausübung häuslicher Gewalt sprachen sich 59 Prozent der Russen genau dafür aus. Nur 33 Prozent der vom Russischen Zentrum zur Erforschung der öffentlichen Meinung (WZIOM) befragten Bürger wandten sich gegen eine »Entkriminalisierung«.

»Manchmal ist das Zuhause der gefährlichste Ort«, mahnt eine junge Frau mit einem Plakat auf der Straße. Doch aus einer Straftat mit der Androhung von bis zu zwei Jahren Gefängnis soll nach dem bisherigen Willen einer Mehrheit der Abgeordneten eine Ordnungswidrigkeit mit Geldstrafe von höchstens 500 Euro werden. Eine härtere Strafe soll nur dann verhängt werden, wenn die Schläge mehr als einmal im Jahr vorkommen oder körperliche Schäden verursacht werden. 368 der 450 Duma-Abgeordneten stimmen in erster Lesung für den Entwurf.

Vor der zweiten Lesung, die um fünf Tage verschoben wurde, sollen sich die Volksvertreter aber nochmals mit dem Gesetzestext vertraut machen. Dabei hilft ihnen am Dienstag die offizielle Agentur TASS mit der Befragung von Eltern und Experten. Deren Urteil: Das Gesetz säubere Schuldigen die Hände, schade der kindlichen Entwicklung und Gesundheit und mache Frauen schutzlos.

Um Verständnis warb angesichts einer Kritik des Generalsekretärs des Europarates, Thorbjørn Jagland, die Vorsitzende des Föderationsrats, Walentina Matwijenko. Es gehe nur um Ersttäter und es gebe »in der Gesetzgebung ausreichende Maßnahmen, darunter strafrechtliche Verantwortung, bei Gewalt in der Familie«. Das Strafgesetzbuch enthalte für solche Fälle rund 60 Artikel, nach denen Schuldige zur Verantwortung gezogen werden könnten.

Die reichen der Fraktion der KP der Russischen Föderation aber offenbar doch nicht aus. Sie brachte einen Antrag ein, nach dem Gewalt gegen Kinder, Schwangere und hilflose Personen weiterhin unter das Strafrecht fallen solle - »unabhängig von den Motiven und dem Ort der Verbrechen«.

Es gehe doch nicht an, dass jemand wegen eines »Klapses« zwei Jahre ins Gefängnis müsse, argumentiert jedoch die Abgeordnete Jelena Misulina, Vorsitzende des Familienausschusses. Wie solle man denn sonst Kinder erziehen, fragt die 61-jährige Initiatorin des Entwurfes offenbar nicht nur sich selbst. »In der russischen Tradition gründet sich vieles auf die elterliche Macht, und der Staat sollte das unterstützen.«

In jeder Familie gebe es Situationen, in denen es nervlich an die Grenzen gehe, räumt Olga Batalina von der Partei Einiges Russland ein, wiegelt aber sofort ab: »Aber ich bin natürlich kein Anhänger von physischen Methoden der Erziehung.« Ohne Umschweife kommt Anna Kusnezowa, Bevollmächtigte für Kinderrechte beim Russischen Präsidenten, aus: »Kinder werden nicht geschlagen. Frauen werden nicht geschlagen. Und Punkt.« Die Billigung von Gewalt in der Familie bedeute eine Anerkennung der eigenen Machtlosigkeit, Schwäche und psychischen Unreife.

Wenn auch nach der jüngsten Umfrage 79 Prozent der Russen häusliche Gewalt ablehnen, verweisen die Gewerkschaften doch auf 25 bis 30 Prozent der Ehemänner, die gegen ihre Frauen physische Gewalt anwenden. Jährlich seien nach Angaben des Innenministeriums 600 000 Frauen Attacken ihrer Partner ausgesetzt.

Hilfsorganisationen beklagen, Ehemänner oder Partner würden zuschlagen, Frauen schweigen, um Ehe und Familie zu retten. Am häufigsten treffe es Frauen zwischen 30 und 40 Jahren, zumeist berufstätige mit mittleren Einkünften. Das geht aus einer der seltenen Erhebungen aus dem Jahre 2012 hervor. Die meisten Frauen seien mitunter mehrmals im Monat geschlagen worden. »Spitzenreiter sind hierbei Moskau und Umgebung, die Gebiete Twer, Nischni Nowgorod und Nowosibirsk sowie Sankt Petersburg«, hieß es in Auswertung einer Telefonumfrage in mehreren Städten.

Keine nähere Begründung brachten die Demoskopen für die Auffassung von 41 Prozent der Befragten bei, die mit dem Gesetz einen Rückgang häuslicher Gewalt erwarten. Immerhin bestätigen 33 Prozent, um häusliche Gewalt bei Bekannten zu wissen. Zehn Prozent haben damit persönliche Erfahrungen gemacht.

Nach Angaben der Regierung werden laut der aktuellsten Statistik aus dem Jahr 2013 rund 40 Prozent der Körperverletzungen innerhalb der eigenen vier Wände verursacht. Fast alle 40 Minuten komme eine Frau durch häusliche Gewalt ums Leben, schreibt das Nachrichtenportal »Bolschaja Moskwa« unter Berufung auf Experten und beklagt, dass es nur »fragmentarische Angaben« gebe.

In Netzkommentaren neigen Bürger in der nunmehr hitziger aufgeflammten Debatte um häusliche Gewalt zu beiden Seiten. »Seit Tausenden von Jahren wird so erzogen. Das funktioniert«, lautet das Pro. Im Kontra gegen den Gesetzentwurf wird gefragt: »Prügeln, Strafe zahlen und einfach weiterprügeln?«

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!