Gletscher schmelzen von unten

Erwärmtes Meerwasser gerät in die Tiefen des Schelfs

  • Elke Bunge
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit mehreren Jahren halten Ozeanologen und Polarforscher das Abschmelzen des Gletschereises in der Westantarktis für einen unumkehrbaren Prozess. In den »Geophysical Research Letters« hat ein Forschungsteam der University of California unter Romain Millan eine Studie aus den Jahren 2009 bis 2014 veröffentlicht, die die bisher erhobenen Erkenntnisse dramatisch bestätigt.

Mittels Schwerefeldmessungen aus Flugzeugen sowie Untersuchungen der Eisbewegungen vor Ort stellten die Forscher fest, dass sich unter den sechs beobachteten Gletscherfeldern tiefe Schluchten in das Schelf gegraben haben. »Diese Kerben sind bis zu 1000 Meter tiefer in den Meeresboden gegraben, als wir Wissenschaftler es bislang angenommen haben«, erklärt Millan. Die beiden größten Schluchten ermittelten die Forscher unter dem Schelfeis der Crosson- und Dotsongletscher. Auch unter den beiden größten Gletschern der Region, dem Pines- und dem Thwaites-Gletscher registrierten die Messungen Hohlräume, wenn auch weniger tiefreichende.

Es sind Warmwasserströme, die während der Gezeiten am Schelfboden unter den Gletschern »lecken« und die Landmassen so nach und nach abtragen. Verlagert sich so der Aufsatzpunkt der Gletscher in Richtung des Kontinentinneren, so schmelzen die darüber lagernden Eismassen ab. Bereits vor zwei Jahren haben Forscher die These aufgestellt, dass dieser Prozess unumkehrbar ist, sich in den vergangenen Jahren sogar beschleunigt hat. Statistischen Angaben zufolge lag der jährliche Verlust von 2003 bis 2009 bei 16 Milliarden Tonnen Eis. Noch in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts betrug die Schmelze nur sechs Milliarden Tonnen jährlich. Ozeanologen befürchten bei einem Fortschreiten des Prozesses einen Meeresspiegelanstieg um 1,20 Meter.

Die bislang ungelöste Frage ist, wie das erwärmte Meereswasser in die Tiefen des Schelfs gerät? Vermutungen zufolge hängt die Umwälzung mit vom Klimawandel verursachten stärkeren Winden zusammen. Diese bringen Tiefenwasser an die Oberfläche, wo es sich erwärmt. Messungen zufolge sind die Wassertemperaturen mit 0,5 bis 1,5 Grad Celsius deutlich zu warm für die Region. Dieses Wasser wäscht nun die Landmassen unter den Gletschern aus und verursacht die tiefen Schluchten.

Bereits 2015 haben Wissenschaftler der University of Washington eine Computersimulation über das Abschmelzen des Thwaites-Gletschers erstellt. Danach beschleunigt sich der Prozess, wenngleich die Forscher um Ian Joughin davon ausgehen, dass er sich im 21. Jahrhundert noch nicht dramatisch entwickelt. Erst in 200 bis 900 Jahren könnte sich eine rasante Entwicklung anbahnen. Die vage Aussage mit einer Zeitspanne von 700 Jahren hängt auch mit den geophysischen Entwicklungen des antarktischen Bodens zusammen.

Millan und seine Gruppe haben bei ihren Radarmessungen festgestellt, dass bei den meisten der von ihnen eruierten Schluchten große Bodenwellen das Eindringen des offenen Meerwassers blockieren. »Das bedeutet, dass die Gletscher dem wärmsten Wasser nicht direkt ausgesetzt sind«, so Forscher Eric Rignot. Die Wissenschaftler kommen zum Schluss, dass die komplexe Topografie des Schelfgebiets Prognosen über die Gletscherentwicklung erschwert und neue Modelle über den Einfluss des Warmwassers an der Gletscherunterseite erstellt werden müssen.

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