Armut? Unvermeidlich!

Im Kino: »Die feine Gesellschaft« von Bruno Dumont

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Titel dieses Film ist purer Hohn, und das in mehr als einer Hinsicht. Denn die »feine« Gesellschaft auf Sommerurlaub, die da in Bruno Dumonts neuntem Film an der französischen Nordküste der vorletzten Jahrhundertwende auf eine nun wirklich ganz und gar unfeine einheimische Gesellschaft trifft, ist selbst weit weniger fein als vielmehr reichlich debil und überzüchtet.

Dumont war, als er kurz vor der Jahrtausendwende mit seinen ersten Filmen Furore machte (»Das Leben Jesu« und »L’Humanité«), das Enfant terrible des französischen Kinos. Das hat sich gewandelt - und auch wieder nicht. Waren die frühen Filme realistisch bis über die Grenze des Realismus hinaus, auf vordergründig unaufgeregte Weise dramatisch und in ihrer Sicht auf Menschheit und Welt bitterböse bis absolut zynisch, so sind seine Filme der letzten Jahre surreal bis über den Anschlag hinaus, komisch in einer Art und Weise, die einem das Lachen gefrieren lässt - und bitterböse bis absolut zynisch in ihrer Sicht auf Menschheit und Welt. Alles wie gehabt also. Nur doller.

In »Die feine Gesellschaft« zeichnet Dumont die großbürgerlichen Sommerfrischler aus den nördlichen Provinzstädten als exaltierte Hysteriker, von jeder Brise Seeluft wie betrunken, vom Anblick der pittoresken Einheimischen zu Stürmen der Begeisterung hingerissen und völlig unfähig, über sich nachzudenken. Arbeit und Armut sind ja so herrlich authentisch (solange sie einen nicht selbst betreffen), soziale Unterschiede peinlich, aber unvermeidbar - und praktisch noch dazu: Wen sollte man sonst maßregeln, wenn die Hausarbeit nicht erledigt wurde? Geld wird längst nur noch vererbt, nicht mehr erarbeitet. Weshalb reichlich Inzucht zwar zum ungeteilten Erhalt industrieller Familienvermögen beitrug, aber auch ihre genetischen Spuren hinterließ.

Historische Postkarten aus den Zeiten, als die Idee der Sommerfrische noch neu war, inspirierten Dumont zu Drehbuch und Film. Man sieht es an der sorgfältigen Konstruktion der standbildartigen Tableaux und an der Genauigkeit, mit der Kostüme und Ausstattung denen von 1910 nachempfunden (und dabei gelegentlich dumont-typisch überspitzt) werden. Die Bilder von Magritte wird Dumont außerdem studiert haben, belgische Comics ebenso und auch die frühen Stummfilmkomiker, allen voran Mack Sennetts Keystone Kops. Und nach eigenem Bekunden Laurel und Hardy. Also gibt es reichlich Slapstick-Momente in diesem ansonsten oft recht brutalen Film.

Denn auf den eigenen Beinen stehen können sie nicht, diese Bourgeois in der Sommerfrische. Ständig fallen sie um, beim Staubwedeln, beim Sich-Niederlassen auf der Gartenliege, bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Bleiben im Morast stecken, gehen in den Dünen verloren oder auf dem Wasser im Sturm. Und zwischen den Lagern der auswärtigen Reichen und der einheimischen Armen - personifiziert durch die Familien derer van Peteghem und Brufort (in der deutschen Synchronfassung nachempfindend als »Rohbrechts« übersetzt) - stapfen zwei Zivilpolizisten in Anzug und Melone durch die Dünen, die auf der Suche sind nach Sommerfrischlern, die im Urlaub verschwanden, und von denen wenig mehr blieb als ein Requisit. Eine Brille, ein Sonnenschirm, sonst nichts.

Der Sonntagsstaat der Einheimischen ist schwarz mit abgeschabten Kanten, der der Sommerfrischler weiß und voller Spitzen - bildlich klarer kann man ihren sozialen Abstand kaum machen. Inhaltlich aber nehmen sich die van Peteghems und die Rohbrechts wenig. Jedenfalls möchte der Regisseur das so sehen, der die einen als Kannibalen porträtiert und den andern Inzest anhängt.

Bei seinem Rundumschlag hilft ihm die Speerspitze der französischen Schauspielkunst nach Kräften. Fabrice Luchini mit grauem Backenbart, verwachsen, verweichlicht, schwach - aber auch wieder nicht so schwach, dass er seiner Schwester nicht schon mal Gewalt angetan hätte - ist Herr van Peteghem, und er ist sehenswert. Valeria Bruni-Tedeschi spielt seine Gattin mit steifem Korsett, abgespreiztem kleinen Finger, strenger Haartracht und noch strengeren Worten für das örtliche Zugehmädchen, Juliette Binoche gibt in großem Opernmodus seine Schwester.

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