Van der Bellen tritt sein Amt als Bundespräsident an
Österreich hat erstmals Staatsoberhaupt aus Reihen der Grünen
Knapp eine Woche nach der Vereidigung von Donald Trump als US-Präsident wird an diesem Donnerstag Österreichs neuer Präsident gekürt. Erstmals in der Zweiten Republik zieht ein Grüner in die historischen Räume der Wiener Hofburg ein. Alexander Van der Bellen tritt mit 73 Jahren eine sechsjährige Amtszeit an.
Punkt 10 Uhr wurde laut Protokoll die Bundesversammlung - bestehend aus dem Nationalrat und der Länderkammer - im Parlament zusammentreten, um dem emeritierten Wirtschaftsprofessor und ehemaligen Grünen-Chef die Gelöbnisformel abzunehmen. Mehrere Reden später begeben sich dann die Honoratioren der Republik mit dem neuen Präsidenten an der Spitze zu dessen Amtssitz in die Hofburg. Nach der üblichen Flaggenparade inklusive militärischem Festakt lässt es sich der in Tirol geborene Van der Bellen nicht nehmen, eine Abteilung von Tiroler Schützen samt Blasmusikkapelle abzuschreiten. Statt der in Washington üblichen Ehrensalven aus Artilleriekanonen werden am Wiener Heldenplatz Gewehrschüsse von Karabinern aus napoleonischen Kriegszeiten abgefeuert. Dazu sollen, so das Protokoll, Marketenderinnen Schnaps reichen. Noch vor wenigen Monaten wäre ein solches Szenario für einen typischen urbanen Grünwähler undenkbar gewesen.
Auf dem internationalen Parkett wird es für den neuen Bundespräsidenten nicht leicht. Angetreten ist er vor einem Jahr mit dem Slogan, nur er - und nicht sein rechter Gegenspieler Norbert Hofer von der FPÖ - könnte eine Isolation des Landes verhindern. In der Zwischenzeit hat sich die (geo)politische Landschaft stark verändert. Die östlichen Nachbarn Ungarn und Slowakei werden von national orientierten Parteien regiert, im Prager Hradschin sitzt ein Amtskollege, der mit Hofer besser könnte als mit Van der Bellen und auch in Warschau wird man an ihm höchstens schätzen, dass er die Tiroler Schützen aufmarschieren ließ. Und nun noch die USA. Auch dort kann der neue Präsident Trump mit einem Apologeten der Diversität und Vorkämpfer für politische Korrektheit sicher nicht viel anfangen.
Im Kreml wiederum sitzt Wladimir Putin, dem Van der Bellen schon im Wahlkampf unnötigerweise ausrichten ließ, dass er für eine Verlängerung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland sei. Mit dem liberalen Kampfbegriff der Weltoffenheit punktet man heutzutage in immer weniger Ländern.
Auch innenpolitisch dürfte die Zeit des Honeymoon - sprich der großen Allianz von Grünen, SPÖ, ÖVP und Liberalen gegen die FPÖ - dem Ende zu gehen. Die rot-schwarze Regierungskoalition steht laut Medienberichten auf der Kippe. Der Grund: Der SPÖ zufolge habe sich die ÖVP bisher geweigert, auch nur einem Punkt aus dem »Plan A« von Bundeskanzler Christian Kern zuzustimmen. Ferner habe der Regierungspartner selbst noch kein Papier zur für Ende kommender Woche geplanten Neufassung des Koalitionspakts vorgelegt. Kern sprach am Dienstag ein Ultimatum aus. Bis Freitag müsse das »Update« des Regierungsprogramms fertig oder zumindest konkrete Maßnahmen mit dem Koalitionspartner vereinbart sein. Für Mittwoch wurde ein Koalitionstreffen anberaumt.
Überdies hat sich ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka drei Tage vor der Vereidigung Van der Bellens mit einem Vorschlag zu Wort gemeldet, die - tatsächlich weitgehenden - Befugnisse des Präsidenten einschränken zu wollen. Es sei nicht einzusehen, warum der Bundespräsident der Oberbefehlshaber des Militärs sein müsse und es zur Einberufung des Nationalrates seiner Zustimmung bedürfe, meinte der ÖVP-Mann. Letztere Äußerung zielte wohl auf eine Aussage Van der Bellens, der im Wahlkampf angekündigt hatte, den Nationalrat auflösen zu wollen, wenn dort eine rechte Mehrheit einen FPÖ-Kanzler inthronisieren sollte. Angesichts der geänderten internationalen Kräfteverhältnisse könnte ein solcher Kraftakt allerdings auf heftigen Widerstand stoßen.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.