Im sicheren Polen

Martin Leidenfrost suchte nach US-Soldaten in Niederschlesien und stieß auf den Verdacht, es könnten Illuminaten sein

  • Martin Leidenfrost
  • Lesedauer: 4 Min.

Neulich sah Europa die größte Truppenverschiebung seit dem Kalten Krieg. Die US-Armee verlagerte 900 Wagen, 400 Kettenfahrzeuge, 400 »Humvees«, 144 »Bradleys«, 87 Panzer der Marke »Abrams« und 18 »Paladins« in den Osten der NATO. Die polnische Regierung begrüßte »Atlantic Resolve« besonders festlich. Es nahm mich wunder, dass die 3500 US-Soldaten nicht etwa an der russischen, sondern unweit der deutschen Grenze stationiert wurden. Ich also in die Niederschlesische Heide.

Ich war spät dran. Die Party hieß »Sicheres Polen«, wurde live auf die Hauptplätze der Hauptstädte aller Wojewodschaften übertragen und von einer Spendensammlung für syrische Christen begleitet. Ich hörte im Autoradio, wie Premierministerin Beata Szydlo die »Vertreter der besten, stärksten und großartigsten Armee der Welt« begrüßte. Die Stimme von Antoni Macierewicz bebte noch ergriffener. Der polnische Verteidigungsminister ist ein Typus, an dessen Wirken in hohen Ämtern wir uns erst gewöhnen müssen: Er glaubt an Verschwörungstheorien. Er hält den Flugzeugabsturz von Smolensk für ein russisches Attentat und sieht sogar noch hinter der Polenschlächterei ukrainischer Nationalisten in Wolhynien die Hand Moskaus.

In der Niederschlesischen Heide wurde die Straße schlechter, der Geruch von Kohleverfeuerung drang herein, der Schnee wurde üppiger. Im Autoradio kam ein tschechisches Feature, in dem Zeitzeugen vom Krieg erzählten. Mehrere antifaschistische Kämpfer bedauerten ihr Heldentum nachträglich: »Es hat sich nicht gelohnt, für die Freiheit zu kämpfen.« Oder: »Mein Kommandant setzte sich rechtzeitig nach Monaco ab und bewegte Millionen beim Roulette. Das hätte ich auch machen sollen.« Ich kam in Żagań an, im früheren deutschen Städtchen Sagan, in dem ein Warlord namens Wallenstein einen Astronomen namens Kepler beschäftigte und das mit seinem nun waldbedeckten NS-Kriegsgefangenenlager zum Hollywood-Film »The Great Escape« inspiriert hatte. Auf dem Marktplatz »Rynek« bauten Arbeiter die Welcome-Bühne ab. Bier hatte es keines gegeben, sagten sie auf Nachfrage, »auch keinen Wodka, auch keinen Whisky.« - »Was gab es dann?« Sie suchten nach dem Wort: »Tee.«

In jener Samstagnacht gab es in Sagan zwei geschlossene Bankette, ansonsten nur uneinsehbare Spielautomatenbars, die allerdings nichts ausschenken durften. In einem dieser fensterlosen Löcher fand ich sechs Vertreter der Żagańer Jugend um eine Pressspanplattenbar versammelt. Ich fragte sie: »Ist Polen jetzt sicher?« Die zwei hinter der Bar ignorierten mich. Ein kleiner Besoffener wollte »die Amis ficken«. Eine zierliche England-Rückkehrerin mit Nasenring hieß die Army mit Blick auf die Żagańer Gastronomie willkommen. Ein Riesenknabe dachte lange nach, bis er sagte: »Da kann Polen ein Truppenübungsplatz für alle anderen werden.« Eine gelockte Blondine mit charmanter Zahnlücke war mit 21 noch Schülerin und hatte folgende Meinung: »Es ist ein Privileg, dass die Amerikaner hier sind.« Sie behauptete, einige polnische Soldaten hätten Szydlo ausgepfiffen, für den Satz von der »besten Armee der Welt«. Auf den Aufzeichnungen hörte ich keine Pfiffe.

Wieder draußen, hängte sich ein langer Knochiger aus einer anderen Automatenbar an mich. Er verbarg geschickt den Joint in seiner Hand. Er warnte mich, »nicht alleine zu gehen, nicht in dieser Stadt« - »Ist denn Polen nicht sicher?« Er riss die Augen auf: »Żagań sicher?« Jemand ließ seinen schwarzen BMW im Schnee schlittern, den meinte er aber nicht. Er: »ILLUMINATI!« - »Auch jetzt mit den Amis?« - »Wer sagt Ihnen, dass das keine sind?« Er erklärte mir die Verwobenheit von Jesuiten, Santander-Bank und Illuminati; wenn ich mich frage, warum die Löwen auf jener Fassade zweischwänzig sind, müsse ich nur in der Krypta von Herzog Biron unter die Gnadenkirche klettern. Ich fragte ihn, was er von seiner Regierung hält. Er winkte ab: »Warschau hat keine Kontrolle.« - »Und Trump?« - »Keine Macht.« - »Und Putin?« Nun sah ich den Knochigen zum ersten Mal zögern.

Am nächsten Morgen vor den Kasernen im Wald, Soldaten schaufelten den Schnee von wüstenfarbenem Militärgerät. In der SB-Pizzeria »Mafia« traf man bereits Soldiers an. Sie gehörten alle ethnischen Minderheiten an. Afroamerikaner, sehr junge oder sehr alte, müde. Ich ging in die Kirche. Als ich zu Mittag wieder ins Zentrum hinaustrat, waren die Zierkappen von meinem Wagen geklaut.

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