Kreisfreiheit zu verlieren lohnt sich

Rechnung des Finanzministers Christian Görke verheißt Brandenburg/Havel ein Plus von 15 Millionen Euro

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Jahr 1993, zur Zeit der letzten Kreisgebietsreform im Land Brandenburg, hat Finanzminister Christian Görke (LINKE) noch als Sportlehrer gearbeitet. Aber er war auch damals schon politisch aktiv, saß als Abgeordneter im Kreistag von Rathenow - und wetterte dort gegen die Zusammenlegung mit Nauen zum heutigen Landkreis Havelland.

»Ich war 1993 kategorischer Gegner einer Kreisgebietsreform«, gibt der Finanzminister zu, der inzwischen neben Innenminister Karl-Heinz Schröder (SPD) die treibende Kraft bei der neuerlichen Kreisgebietsreform ist. »Heute bin ich froh«, sagt er, »dass andere 1993 die Kreisreform durchgesetzt haben. Ich kann mir Brandenburg im Jahr 2017 mit 44 Landkreisen gar nicht vorstellen.«

Die Rechnung des Finanzressorts

Brandenburg/Havel hat im Moment noch 71.000 Einwohner. Prognostiziert ist ein Absinken der Einwohnerzahl auf 64.700 bis zum Jahr 2030 und auf 59.600 bis zum Jahr 2040.

Für Frankfurt (Oder) sagt die Modellrechnung des Finanzministeriums aus, dass die Stadt einerseits Ausgaben in Höhe von bis zu 72,2 Millionen Euro einspart, andererseits 23,7 Millionen Euro Einnahmen wegfallen und an den Kreis Oder-Spree eine Kreisumlage von 29,3 Millionen Euro zu zahlen wäre. Unter dem Strich dürfte sich Frankfurt (Oder) durch die Gebietsreform über ein jährliches Plus von rund 17 bis 19 Millionen Euro freuen, heißt es.

Das Land Brandenburg will die Gebietsreform mit tendenziell 415 Millionen Euro flankieren. Das sind 169 Euro je Einwohner. Mecklenburg-Vorpommern hatte für seine Gebietsreform 85 Euro je Einwohner aufgewendet und Sachsen 71 Euro je Einwohner.

Uckermark und Prignitz sollen mit je sechs Millionen Euro teilentschuldet werden, Oberspreewald-Lausitz mit zehn Millionen.

Das Landesamt für Gesundheit und Versorgung soll eigentlich als Kommunalverband an die Kommunen übergehen, aber nicht zerschlagen werden und seinen Hauptsitz in Cottbus behalten. Finanzminister Christian Görke (LINKE) erklärt, die Regel laute: »Ganz oder gar nicht.« Wenn es zu keiner Einigung kommt, werde das Amt ein Landesamt bleiben, sagt Görke. af

Aktuell gibt es noch 14 Landkreise und vier kreisfreie Städte in Brandenburg. Aber das ist nicht das Ende. Nach den Plänen von Schröter und Görke sollen davon im Jahr 2019 nur neun Landkreise und die kreisfreie Landeshauptstadt Potsdam übrig bleiben.

Nach Überzeugung des Finanzministers geht es nicht anders. Er erinnert noch einmal an die Bevölkerungsentwicklung. Außerhalb des Berliner Speckgürtels, insbesondere in der Prignitz oder auch in Elbe-Elster, sei ein massiver und anhaltender Einwohnerschwund zu verzeichnen.

»Im Westhavelland ist jeder Zweite über 60 Jahre alt. Das heißt, der Anteil derer, die Steuern zahlen, wird geringer. Wir haben landesweit momentan 24 Prozent Rentner, dieser Anteil wird bis 2040 auf rund 37 Prozent steigen«, sagt Görke. Parallel gehe der Anteil der Erwerbstätigen deutlich zurück. Das könne man nicht negieren. »Im Ergebnis werden 2040 55 Prozent der Brandenburger auf 90 Prozent der Landesfläche leben, die übrigen 45 Prozent leben dann im Berliner Umland. Es ist klar, dass die Prignitz mit dann knapp 58 000 Einwohnern nicht eine gesamte Kreisverwaltung finanzieren könnte wie der Landkreis Potsdam-Mittelmark mit dann knapp 200 000 Einwohnern«, betont Görke.

Zur Bevölkerungsentwicklung kämen die steigenden Ausgaben hinzu. 2002 hatten alle Städte, Gemeinden und Landkreise zusammen Personalausgaben von weniger als 1,5 Milliarden Euro. Das waren fast 600 Euro je Einwohner. Nicht zuletzt durch Tariferhöhungen sind die Personalkosten bis 2015 auf insgesamt knapp zwei Milliarden Euro beziehungsweise auf rund 800 Euro je Einwohner gestiegen. Insbesondere jene Kreisverwaltungen, die für weniger Einwohner zuständig sind als andere, werden große Probleme bekommen, ihre Tätigkeit weiterhin zu finanzieren und für die Bürger da zu sein.

»Wer das ausblendet und nicht darauf reagiert, verspielt die Zukunft ganzer Regionen«, warnt Görke. Er sagt: »Als demokratischer Sozialist ist es meine Aufgabe, für gleichwertige Lebensverhältnisse zu sorgen. Wer heute aber sagt, alles kann bleiben, wie es ist, macht den Leuten was vor. Und genau das macht die CDU.«

Dass die Kreisreform nicht populär ist, das ist Görke bewusst. Fast überall gibt es Proteste, insbesondere aber in den bislang kreisfreien Städten Cottbus, Brandenburg/Havel und Frankfurt (Oder). Dabei haben die drei Städte nach Darstellung Görkes zumindest finanziell nur Vorteile, wenn sie mit den umliegenden Landkreisen vereinigt werden. Alle drei stehen tief in der Kreide. Doch sie bekämen im Zuge der Kreisreform die Hälfte der Schulden getilgt, die sie als Kassenkredite zum Stichtag 31. Dezember 2014 hatten. Cottbus käme auf diese Weise in den Genuss von bis zu 111 Millionen Euro. Für Brandenburg/Havel wären es 88 Millionen, für Frankfurt (Oder) 65 Millionen Euro.

Doch damit nicht genug. Der Finanzminister ließ über Modellrechnungen ermitteln, wie viel die drei Kommunen einsparen könnten, wenn sie nur noch eine gewöhnliche Stadtverwaltung bräuchten, wenn beispielsweise Sozialausgaben nicht mehr Sache von Brandenburg/Havel wären, sondern das Havelland dafür aufkommen müsste. Bis zu 79,5 Millionen Euro Ausgaben im Jahr müsste Brandenburg/Havel weniger tragen, erläutert Görke. Freilich müsste die Stadt dann auch schätzungsweise 37,7 Millionen Euro Kreisumlage zahlen und es entfielen Einnahmen in Höhe von 26,8 Millionen. Doch unter dem Strich - in die Rechnung einbezogen sind beispielsweise noch 2,1 Millionen Euro Kulturförderung - stünde für Brandenburg/Havel jährlich ein Plus von bis zu 15 Millionen Euro. Hinzu käme die Teilentschuldung.

»Wenn da jemand sagt: ›Wir sehen die Entlastung nicht‹, dann kann er die Zahlen nicht lesen«, beschwert sich Finanzminister Görke und meint damit Oberbürgermeisterin Dietlind Tiemann (CDU). Görke sagt: »Mit der Kreisgebietsreform wird der Haushalt von Brandenburg/Havel massiv entlastet. Die Stadt gewinnt finanzielle Spielräume.«

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