Gute Inflation, schlechte Inflation

Japans Regierung hofft auf die Rückkehr des Wirtschaftswachstums

  • Felix Lill, Tokio
  • Lesedauer: 4 Min.

Endlich soll sie wieder in Reichweite sein, die verlorene Tochter, die man in Japan so lange suchte: Inflation. Seit zwei Jahrzehnten wünschen sich Ökonomen ein Ende der Deflation. Nun glauben immer mehr Analysten, dass die Inflation in diesem Jahr zumindest teilweise zurückkehrt: Um etwas mehr als ein Prozent soll die Teuerungsrate 2017 steigen, so die Prognosen. Das wären zwar noch nicht die angestrebten zwei Prozent, aber doch ein großer Unterschied zu den leicht fallenden Preisen in jüngster Zeit.

Für Japans Regierung sowie die Bank of Japan klingt das nach erlösenden Nachrichten. Steigende Preise sind ein Schlüsselelement der Wachstumsstrategie von Premierminister Shinzo Abe. Beim zweiten Hinsehen aber erscheint das Ganze weniger erfreulich. Denn die steigende Inflation ist vor allem durch höhere Ölpreise erklärt, ein Produkt also, das Japan nicht nur nicht selbst fördert, sondern seit der Atomkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 auch vermehrt importieren muss.

»Die Preise werden steigen, aber nicht aus den richtigen Gründen«, meint Yoshiki Shinke, Chefökonom bei der Forschungsabteilung des Versicherers Dai-ichi Life. »Der Schlüssel ist, ob Preissteigerungen künftig zunehmen, weil sie durch eine kräftige Volkswirtschaft unterstützt werden«, verlautet aus der Zentralbank. »Und das ist nicht klar.«

Das Preisniveau ist in Japan schon lange ein schwieriges Thema. Als 1990 eine riesige Spekulationsblase platzte, geriet der über Jahrzehnte andauernde Wirtschaftsboom an sein plötzliches Ende. Unternehmen hielten sich mit Investitionen zurück, auch Haushalte wurden zaghaft, was größere Ausgaben betraf. Mangels gesamtwirtschaftlicher Nachfrage begannen die Preise zu fallen. Und trotz allem, was Zentralbank und Regierung seither getan haben, sind deflationäre Phasen immer wieder aufgetreten.

1997 setzte die Bank of Japan den Leitzins erstmals auf Null, ab 2003 kaufte sie Staatsanleihen auf. Über die Jahre wurde daran festgehalten, das Programm sogar ausgeweitet. Unter Zentralbankchef Haruhiko Kuroda, der 2013 indirekt von Shinzo Abe eingesetzt wurde, hat sich die Bilanzsumme der Bank of Japan nochmals verdoppelt. 2016 führte sie schließlich Negativzinsen an, um die Wirtschaft zum Brummen zu bringen.

In einem Umfeld fallender Preise, so sehen es die meisten Ökonomen, werden neue Investitionen und somit das Wirtschaftswachstum gehemmt. Analysten der Großbank BNP Paribas errechneten zuletzt, dass die japanische Wirtschaft mittelfristig nur um 0,5 Prozent wachsen dürfte. Pre- mierminister Abe hat sich drei Prozent vorgenommen. Aber geht man davon aus, dass die Preise auch in Zukunft fallen werden, so ist eine weitere Aufschiebung von Investitionen eine kluge Strategie. Deshalb, so die Lesart der Regierung, müsse unbedingt wieder Wirtschaftswachstum her, wodurch Preise steigen und sich eine positive Spirale in Gang setzt. Lockere Geldpolitik soll dabei behilflich sein, ebenso Konjunkturpakete und wachstumsfördernde Reformen.

Dieses Dreigespann, wenngleich die Reformen bisher eher Versprechen geblieben sind, nennt der Premier wenig bescheiden »Abenomics«. Kurz nach seinem Amtsantritt Ende 2012 erlebte Japan tatsächlich einen Wirtschaftsboom, der aber vor allem durch die Geldpolitik befeuert wurde, zum großen Teil in steigenden Aktienpreisen mündete und rasch wieder verebbte. Die Reallöhne sind dagegen in den meisten Branchen mit Ausnahme der großen Exporteure trotz des oft fallenden Preisniveaus nicht gestiegen. Laut einer aktuellen Umfrage haben zwei Drittel der japanischen Unternehmen auch nicht vor, die Löhne in diesem Jahr anzuheben. Wenn nun noch das Preisniveau steigt, sinkt der Reallohn, und das drückt auf die Nachfrage. So könnten sich die von der Bank of Japan angestrebten zwei Prozent Teuerungsrate nicht als Erlösung für die Wirtschaft, sondern als Hindernis für die weitere Entwicklung darstellen.

Durch die sehr lockere Geldpolitik der Notenbank zeigen sich schon jetzt erste negative Auswirkungen. Da die Löhne eben kaum steigen, Aktienpreise dagegen schon, profitieren laut mehreren Studien vor allem jene Haushalte, die nicht nur eine hohe Sparquote haben, sondern auch die Überschüsse auf dem Kapitalmarkt anlegen. Das trifft vor allem auf Besserverdiener zu. Dies ist eine Entwicklung, die nicht nur Japan betrifft, sondern auch Europa, wo die Geldpolitik ähnlich vorgeht. Wenn zudem Preissteigerungen importiert werden, kann es im wahrsten Sinne des Wortes teuer werden.

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