Rumäniens Volk fordert Umzug der Dinosaurier

Der Ruf nach dem Rücktritt der Regierung Grindeanu wird immer lauter und drängender / Misstrauensantrag im Parlament ist aber ohne Chance / Staatspräsident Johannis plädiert für die Bildung eines neuen Kabinetts

  • Silviu Mihai, Bukarest
  • Lesedauer: 3 Min.

»In den Knast, nicht an der Macht!«, tönten am Montagabend die Sprechchöre über den Piata Victoriei (Siegesplatz); der überdimensionierte Vorplatz der Regierungszentrale war rappelvoll mit Menschen und Fahnen. Einen Teilsieg hatte die Straße bereits erzielt, doch die Proteste gehen weiter. Die klirrende Kälte der letzten Wochen hatte schon am vergangenen Samstag nachgelassen.

Böses ahnend gab Ministerpräsident Sorin Grindeanu kurz vor 21 Uhr bekannt, er wolle »Rumänien nicht spalten« und verzichte auf jenen Gesetzestext, der manche Formen von Amtsmissbrauch oder Interessenkonflikt entkriminalisiert hätte und die Proteste auslöste. Glaubwürdig ist Grindeanu für die Menschen auf dem Siegesplatz nicht mehr, die meisten fordern schon seinen Rücktritt und lassen jeden Abend große Marionetten mit gestreiften Knastkostümen und den Gesichtern führender Politiker durch die Straßen paradieren.

Im Sitzungssaal des Palastes blieben am Wochenende die Lichter bis in die späten Stunden an. Auf einer Sondersitzung am Sonntagnachmittag hob die Regierung dann endlich die umstrittene Verordnung auf, ehe sie am 11. Februar in Kraft hätte treten müssen.

Die Protestbewegung zeigte sich allerdings skeptisch und rief für diese Woche zu weiteren Kundgebungen auf. Viele Demonstranten befürchten nämlich, dass die Politiker zu einem späteren Zeitpunkt erneut versuchen könnten, durch weitere Gesetzesnovellen, etwa durch einen bereits dem Parlament vorgelegten Entwurf zur Begnadigung bestimmter Straftaten, sich selbst zu retten.

An einer Ecke wird derweil die rumänische Variante von »Fuchs, du hast die Gans gestohlen« gesungen. Vor dem gegenüberliegenden Naturkundenmuseum ruft eine Gruppe von Studenten, man könne den Dinosauriern gerne beim Umzug helfen - ein Hinweis darauf, dass die Menschen die politische Klasse nicht mehr für zeitgemäß halten. Und als sich die Kabinettsmitglieder Sorgen darüber machen dürften, was überhaupt noch zu retten ist, spürten die Demonstranten zum ersten Mal in den letzten Wochen einen Hauch von Erleichterung - und einen Haufen Stolz.

Die bürgerliche Opposition stellte einen Misstrauensantrag, der an diesem Mittwoch im Parlament debattiert wird - allerdings ohne realistische Erfolgschancen, denn die sozialdemokratische PSD verfügt dort zusammen mit der sozialliberalen verbündeten ALDE über eine stabile Mehrheit.

Die EU-Kommission kritisierte erneut das Vorgehen der Regierung. Ähnliche Zweifel äußerten auch die Regierungen und Botschaften der USA und der großen EU-Länder, darunter die Bundesregierung. Der Kampf gegen die Korruption müsse weitergehen, so der Tenor, der bei den Demonstranten den Eindruck stärkte, auf der »guten, pro-europäischen Seite der Geschichte« zu stehen, wie viele Kommentatoren immer wieder betonen.

Staatspräsident Klaus Johannis, der sich als Garant der Korruptionsbekämpfung präsentiert, sprach am Dienstag vor den Abgeordneten über die Pflicht der Regierungsparteien, eine Lösung für die politische Krise zu finden, die sie selbst ausgelöst hätten. »Wollen wir eine starke, ernst zu nehmende europäische Nation sein, oder eine, die keinen Respekt verdient?«, fragte der Staatschef.

Die Parlamentarier der PSD verließen den Plenumssaal, als Johannis behauptete, für Neuwahlen sei es im Moment noch zu früh, ein Rücktritt des Justizministers sei allerdings zu wenig. Damit fordert der Präsident implizit die Bildung einer neuen Regierung und stellt sich deutlich auf die Seite der Demonstranten. Wie dies den Konflikt zwischen Sozialdemokraten und ihren Gegnern entschärfen könnte, blieb allerdings unklar. Klar ist hingegen, dass eine Überwindung der tiefen Spaltungen innerhalb der Gesellschaft immer unwahrscheinlicher wird.

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