Eskalation an ukrainischen Fronten
Tödlicher Anschlag auf Rebellenkommandeur in Donezk und Aufregung um den deutschen Botschafter
»Das ist die Fortsetzung des terroristischen Krieges, den die Kiewer Junta gegen den Donbass führt«, hieß es am frühen Mittwochmorgen in der ersten Meldung der selbst ernannten Volksrepublik Donezk zum Mord an Michail Tolstych. Der 36-jährige Tolstych, besser bekannt unter dem Kampfnamen Giwi, war der umstrittene Anführer des Separatistenbataillons Somali - und enger Freund des im Oktober ermordeten Separatistenkommandeurs Arsen Pawlow (»Motorola«). Gegen 6.10 Uhr soll Tolstych, der nach dem Kampf um Illowajsk zum Held der Volksrepublik Donezk ernannt worden war, in seinem Arbeitszimmer mit einem Raketenwerfer RPO beschossen und getötet worden sein.
Erst ging die Ermittlung von einer Explosion aus, doch später wurde diese Mitteilung korrigiert: »Nach dem Schuss mit dem RPO hatte Tolstych keine Chance zum Überleben.« Die Staatsanwaltschaft der Volksrepublik Donezk geht fest von der ukrainischen Spur beim Mord an Tolstych aus. Es soll auch eine Verbindung zum Mord an Pawlow geben. »Es ist ein terroristischer Akt. Dieser Mord ist mit dem Mord an Pawlow verbunden«, sagte ein Sprecher der Donezker Staatsanwaltschaft. »Hinter dem Anschlag stehen ukrainische Geheimdienste, die die Lage in der Republik destabilisieren wollen.« Laut Staatsanwaltschaft sollen Diversionsgruppen aus der Ukraine die Tat ausgeführt haben. Angeblich sind die mutmaßlichen Täter bereits im Visier der Ermittler. In der Ukraine wird diese Version angezweifelt. »Wir vermuten, der Mord an Tolstych ist die Folge eines internen Kampfes um Einfluss«, sagte Wjatscheslaw Abroskin, Polizeichef des ukrainischen Gebiets Donezk. Die ukrainische Version ist nicht auszuschließen. Es gibt heftige interne Kämpfe zwischen den Separatistengruppen seit Beginn der Auseinandersetzung in der Ostukraine. Allerdings sind solche Konflikte in Luhansk deutlicher als in Donezk.
Auch Moskau hat den Mord an Michail Tolstych kommentiert. »Diese Tat ist ein weiterer Versuch, den Donbass-Konflikt zu eskalieren«, meinte Kremlsprecher Dmitri Peskow. »Leider bleibt die Lage sehr angespannt. Dies liegt vor allem an der ukrainischen Seite - und an ihren aggressiven Handlungen.« Tatsächlich eskaliert die Situation im Konfliktgebiet seit rund zwei Wochen. Neben den Kämpfen in Awdijiwka und an der Frontlinie generell wurde über mehrere Explosionen in Donezk und weiteren Städten berichtet.
In Kiew eskaliert auch die Lage an der diplomatischen Front - und zwar in unerwarteter Weise. Denn diesmal ist Ernst Reichel, seit Juli 2016 deutscher Botschafter in der Ukraine, in einen für ihn unangenehmen Skandal geraten.
Grund dafür ist ein am Dienstag erschienenes Interview mit der Agentur RBC Ukraine. Darin meint der 56-jährige Diplomat, die in Minsk vereinbarten lokalen Wahlen im Donbass seien auch in Anwesenheit russischer Truppen möglich. »Die Wahlen müssen nicht unbedingt erst dann ausgetragen werden, wenn es dort keine russischen Truppen gibt oder an jeder Stadtverwaltung ukrainische Fahnen wehen«, sagte Reichel. Als historisches Beispiel nannte er die Wahlen in der DDR von 1990, als dort noch sowjetische Streitkräfte stationiert waren.
Die Aussage Reichels führte im politischen Kiew zu einem großen Aufschrei. Der Zeitpunkt war für die deutsche Botschaft in Kiew unglücklich gewählt. Gerade am Dienstagabend sollte in der Botschaft die große Feier zum 25-jährigen Bestehen der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und der Ukraine stattfinden. Der Termin wurde von zahlreichen Abgeordneten des ukrainischen Parlaments boykottiert. Reichel seinerseits sagte seine angekündigte Pressekonferenz ab. »Wir wollen unsere Empörung über Reichels Aussagen deutlich ausdrücken«, meinte Hanna Hopko, Vorsitzende des Außenausschusses der Werchowna Rada, des ukrainischen Parlaments. »Das Außenministerium soll den Botschafter unverzüglich einberufen.«
Dazu kam es letztlich nicht. Doch auch der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin äußerte sich kritisch über die Wortwahl Reichels. Dabei ist die vom deutschen Botschafter erklärte Position gar nicht so neu. Laut der Vereinbarung von Minsk müssen die Lokalwahlen im Donbass noch vor der Übernahme der Kontrolle der ukrainisch-russischen Grenze durch Kiew stattfinden. Dass die deutliche Art und Weise, wie Reichel sich über einen nicht unbedingt nötigen Abzug der russischen Truppen äußerte, zumindest zu großer Aufregung führen werde, war angesichts der angespannten Stimmung in Kiew allerdings zu erwarten.
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