Im Klimawandel stecken die Öko-Schulden der reichen G20
Alberto Acosta über die Schuldenkrise und den Protest gegen den Gipfel in Hamburg
Auf den G20-Gipfeln in diesem Jahr steht das Thema der Auslandsschulden auf der Agenda. Im März treffen sich die G20-Finanzminister in Baden-Baden. Im Juli kommen die Regierungschefs in Hamburg zusammen. Derweil deutet alles darauf hin, dass die externe Überschuldung innerhalb des kapitalistischen Weltsystems wieder einmal an einen Punkt gekommen ist, an dem uns alles um die Ohren fliegt. Das sollte uns nicht überraschen. Wieder und wieder hat die Überschuldung in den »unterentwickelten« wie in den »entwickelten« Ländern vertrackte Situationen verursacht. Wie in den 1930er Jahren machen sich die Probleme, die aus der Überschuldung entstehen, an beiden Rändern des globalen Kapitalismus bemerkbar.
Die Lektionen der Vergangenheit wurden ganz offensichtlich nicht gelernt. Den jüngsten Alarm löste der Internationale Währungsfonds auf seiner letzten Jahrestagung im Oktober in Washington aus. Die globale Verschuldung hat mit 152 Billionen US-Dollar ein nie dagewesenes Niveau erreicht, ein Anstieg von 200 Prozent der Weltwirtschaftsleistung in 2002 auf 225 Prozent in 2015. Zwei Drittel sind Privatschulden. Auch die öffentlichen Schulden steigen immer schneller an. Wenn sogar der IWF vor einer neuen Krise warnt, dann können wir uns vorstellen, wie schwerwiegend die Lage ist. Laut IWF ist die Auslandsschuld der unterentwickelten Länder zwischen 2000 bis 2015 von 2,1 auf 6,8 Billionen Dollar angewachsen. Die gesamte Inlands- und Auslandsschuld dieser Länder ist auf 31 Billionen geklettert. In einigen Ländern macht das 120 Prozent der Wirtschaftsleistung aus, in Einzelfällen sogar über 200 Prozent. Gleichzeitig haben zuletzt riesige Mengen Kapital diese Länder verlassen. Der Großteil der Kredite, die für die wachsende Verschuldung sorgen, stammt aus den »aufstrebenden Märkten« mit China als einem der wichtigsten Geldverleiher.
Alberto Acosta Espinosa ist ein Wirtschaftswissenschaftler aus Ecuador und war 2007 Energieminister im Kabinett Rafael Correa.
In diesem erneuten Kreditstrudel macht es zur Veranschaulichung der Lage Sinn, einmal darüber nachzudenken, wer eigentlich die größten Gläubiger, die Nutznießer der Schuldenrückzahlungen genau sind. Denn die Verlierer, die kennen wir zu genüge, das sind wie eh und je die Völker. Ohne die konkreten Bedingungen für jede einzelne Krise zu vernachlässigen möchte ich hervorheben, dass die zentrale Erklärung derartiger Entwicklungen in der Gefräßigkeit und Instabilität des internationalen Kapitalismus und seiner zyklischen Akkumulationsprozesse zu finden ist.
Mit dem plötzlichen Auftauchen von Trump könnte sich die Brutalität des Kapitalismus weiter verschärfen. Ein Kapitalismus, der zunehmend an seine sozialen und ökologischen Grenzen stößt. So wie die Industriestaaten historisch für den Klimawandel verantwortlich sind, so ist es das aktuelle System, das die wichtigsten Ökonomien nicht ausreichend kontrolliert, in denen großen Rezessionen entstehen. Wie beim Klimawandel tragen die schwächsten Länder die Folgen. Vor allem durch die Bankenrettungen retten sich die reichen Länder nicht nur auf Kosten des restlichen Planeten, sie heizen die Finanzeuphorie damit sogar noch weiter an. Die systemische Instabilität lässt das Risiko für die ärmeren Länder ansteigen, die in einer ständigen Angst vor dem finanziellen Druck leben sowie in der wachsenden Notwendigkeit Rohstoffe zu exportieren, wodurch wiederum die sozio-ökologischen Konflikte zunehmen.
Es fehlt im internationalen Finanzsystem vor allem auch ein Lösungsmechanismus für geordnete, gerechte, transparente und menschliche Schuldentilgung, auf die Länder in der Schuldenkrise zurückgreifen können. Es ist schon besorgniserregend, dass trotz der gemachten Erfahrungen keine konkreten Schritte zur Bekämpfung dieses Problems gegangen werden. Und dass das Rezept gegen die Schuldenkrise immer und überall dasselbe ist: Um die kapitalistisch unterentwickelten Ökonomien anzupassen wird immer wieder auf neoliberale Rezepturen zurückgegriffen. Alternativen, die schon vor langer Zeit vorgeschlagen wurden, werden hingegen ausgegrenzt.
Heute sollte wie nie zuvor eine breite Diskussion über Alternativen geführt werden. Der globale Charakter, den die Herausforderung der Auslandsschulden nun einmal hat, muss Anerkennung finden. Die Alternativen können nicht in simplen Ankündigungen oder in Stückwerk bestehen – oder gar in Komplizenschaft mit der Finanzmacht und dem transnationalen Kapital. Lösungen wie das Londoner Abkommen vom 27. Februar 1953, bei dem die Auslandsschulden von Deutschland ein für alle Mal gelöst wurden, konnten allein darum ein Erfolg werden, weil die Gläubiger ihre Mitverantwortung geschultert und einen großen Teil der Kosten für den gefundenen Ausweg übernommen haben.
Heute ist die Angelegenheit aber weitaus komplizierter. Die Perversion des unbegrenzten Wachstums zu einem Zeitpunkt, zu dem die Folgen für Gesellschaft und Umwelt sichtbar und schrecklich sind, konfrontiert uns mit einer Perspektive, die auf den G20-Treffen in Deutschland auf die Agenda müssen. Es handelt sich um die ökologische Schuld, bei der die reichen Länder als Schuldner auftreten. Seinen Ursprung hat diese Schuld in der kolonialen Ausbeutung, Paradebeispiele sind der Abbau mineralischer Rohstoffe oder das großflächige Abholzen der Wälder.
Die Öko-Schuld des Nordens spiegelt sich auch in der »kostenlosen Besetzung des Umweltraums« in den verarmten Ländern durch den zerstörerischen Lebensstil der reichen Länder wider. Wir haben es mit einem imperialen Lebensstil zu tun, wie es der deutsche Soziologe Ulrich Brand nennt. Und die ökologische Schuld wächst in dem Sinne, dass die reichsten Länder ihre nationalen Umweltgleichgewichte längst meilenweit überschreiten und ihre Verschmutzung (Müll oder schädliche Emissionen) direkt oder indirekt in die verarmten Weltregionen verschieben, ohne dafür jemals die Kosten zu tragen.
Auch der Druck auf die Umwelt, der durch den Export natürlicher Ressourcen entsteht, muss mit auf die Rechnung. Diese Exporte aus den unterentwickelten Ländern erzielen meist einen schlechten Preis, wobei der Verlust von Nährstoffen und Biodiversität nicht im Preis enthalten ist. Diese Situation verschärft sich durch die steigenden Anforderungen aus dem Bedienen der Auslandsschulden. Mit auf das Papier muss auch die Biopiraterie, die von verschiedenen Pharma-Multis vorangetrieben wird, die in ihren Firmensitz-Ländern dann Patent anmelden auf eine ganze Reihe von Pflanzen und Wissen der indigenen Völker.
Unter dem Strich kann diese Öko-Schuld nicht mehr abgestritten werden. Ihre globalen Folgen zeigen sich in abschmelzenden Gletschern, steigenden Meeresspiegeln und klimawandelbedingter Extremwetter-Ereignisse. Wir brauchen einen internationalen Rahmen, der die Finanzen den Forderungen nach einer gerechten Gesellschaft im Einklang mit der Natur unterordnet. Darüber werden wir in Baden-Baden und in Hamburg zu reden haben, wenn die Zivilgesellschaft dort zu ihren Aktionen aufruft, wie etwa die Initiative Erlassjahr.de. Auch wenn sich die Mächtigen dieser Welt hinter Polizei-Hundertschaften einigeln: Der Tag, an dem sie die Wahrheit anhören müssen, wird kommen.
Übersetzung aus dem Spanischen von Benjamin Beutler
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