Tod und Verfall

Im Wettbewerb: «Pokot»

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 3 Min.

Fuchs, du hast die Gans gestohlen« kennt man hierzulande als mahnendes Volkslied über die Beutezüge des rotbraunen Raubtiers. In Polen scheint es dagegen populäre Lieder zu geben, die zur Jagd auf den vergleichsweise harmlosen und niedlichen Dachs aufrufen. So wird es jedenfalls in Agnieszka Hollands Wettbewerbsbeitrag »Pokot« (polnische Jägersprache für »Jagdstrecke«) kolportiert. Und gesungen wird das Lied hier ausgerechnet in der Kirche - der Priester ist auch Jäger. Nur führen die zahlreichen Weidmänner in »Pokot« ein gefährliches Leben. Fünf von ihnen werden im Laufe des Films sterben, vier davon gewaltsam, Würdenträger sind auch darunter.

Erzählt wird in diesem seltsam unklassifizierbaren Werk, das Fantasyfilm, Thriller und Gesellschaftsdrama in einem ist, von der älteren Lehrerin Janina Duszejko (Agnieszka Mandat). Sie lebt nicht wie ihre Schüler unten in der Kleinstadt, sondern hoch oben auf dem Berg und in Einklang mit der Natur. So erlebt man gleich zu Beginn des Films wunderschöne Kamerafahrten über verschneite Berge und Wälder im Morgengrauen. Doch der über diesem Naturspektakel aufsteigende Morgennebel, die düstere Musik und die hinter dem Gehölz hervorlugenden Wildtiere verheißen Unheil.

Es beginnt damit, dass die Hunde von Duszejko (ihren Vornamen benutzt sie nicht) plötzlich verschwinden. Dann wird auf einmal ein Wilderer tot aufgefunden, und als nächstes muss der Dorfpolizist dran glauben. Dazu hat die Hobbyastrologin Duszejko, die meint, den Tod eines jeden Menschen anhand seines Horoskops voraussagen zu können, eine Theorie: Die Tiere seien die Täter und hätten sich an ihren Peinigern gerächt!

Die Tierliebe vernebelt ihr den Kopf, denken Polizisten und Jäger. Und unchristlich sei das auch, mahnt der Priester: Tiere besäßen keine Seele. Doch was ist mit den vielen Tierspuren um die Tatorte? Beginnt »Pokot« verheißungsvoll als Fantasy-Krimi, ufert der Film jedoch allmählich in alle möglichen narrativen und stilistischen Richtungen aus, und die durch Bildsprache und Story versprochene Spannung verebbt. Motive und Themen bleiben allerdings bestehen: Tod und Verfall setzt es allenthalben, wehrloses Wild wird über die Leinwand gehetzt oder verendet qualvoll.

Wie achten wir unsere Mitkreaturen? Wie steht es um unseren Respekt vor der Natur? Das sind die offensichtlichen Fragestellungen des Werks, die es in gestraffterer Form allerdings ebenso vermittelt hätte. So konzentriert sich der Film auf die Charakterisierung weiterer anrührender Typen wie dem des nerdigen, aber rührenden IT-Experten Dyzio (Jakub Gierszal). Duszejko erobert im Laufe des Films das Herz gleich zweier betagter Kavaliere, und so formiert sich langsam ziviler Widerstand gegen die Jagdlobby. Schließlich gerät der (nicht humorlose) Film vollends zur anarchischen Allegorie. Doch die interessiert dann kaum noch. Das Interesse des Zuschauers hat sich bis dahin längst in den unberührten Weiten der südpolnischen Berge und Wälder verloren.

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