Von Reformgegnern eingekreist
Volksinitiative übergab 129 464 Unterschriften gegen die geplante Kreisneugliederung
Vielleicht hatte SPD-Fraktionsvize Björn Lüttmann dem Tornado etwas Wind aus den Segeln nehmen wollen, als er vor einigen Tagen orakelte, die Volksinitiative gegen die geplante Kreisgebietsreform könnte 100 000 Stimmen zusammenbekommen haben. Nun wurde diese gleichsam utopische Aussage von der Realität noch übertroffen.
Am Dienstag übergaben die Vertreter der Volksinitiative an Landtagspräsidentin Britta Stark (SPD) 129 464 Stimmen, was ohne Zweifel einen überwältigenden Erfolg darstellt. Dabei sind die von der AfD gesammelten Unterschriften gegen die Kreisreform noch nicht einmal mitgezählt, weil die Initiatoren der Volksinitiative sich von Rechtsaußen abgrenzen wollten.
Zu diesem Thema sagte AfD-Fraktionschef Alexander Gauland, Anhänger seiner Partei hätten zum einen eigene Listen vorgelegt, zum anderen sich in die Listen der Volksinitiative eingetragen. Auf die Frage, ob das nicht die Vermutung einer doppelten Stimmabgabe nahe lege, sagte er: »Dann haben wir Pech gehabt.«
Um eine Volksinitiative in Brandenburg zum Erfolg zu führen, müssen mindestens 20 000 gültige Unterschriften beieinander sein. Auch wenn im Büro des Landeswahlleiters, der die Unterschriften in den kommenden vier Wochen auf Gültigkeit prüft, die eine oder andere als ungültig aussortiert wird - ein Vielfaches des geforderten Quorums liegt auf dem Tisch. Die Oberbürgermeister von Cottbus, Frankfurt (Oder) und Cottbus gehörten dem Pulk an, der sich am Dienstag vor der Übergabe der Unterschriften im Hof des Landtagsschlosses im Sonnenlicht abfotografieren ließ.
Der langjährige Prignitz-Landrat Hans Lange (CDU) als »Kopf« der Volksinitiative brachte in einer kurzen Rede das Grundanliegen der Initiative auf den Punkt: Das Leitbild der Kreisreform gehöre aufgehoben, alle bestehenden Kreise und kreisfreien Städte müssten in ihren gegenwärtigen Grenzen erhalten bleiben, es sei denn, sie streben von sich aus eine Änderung an. Und schließlich trete die Volksinitiative dafür ein, in den bestehenden Grenzen Strukturen zu schaffen, die auch künftig die »Daseinsvorsorge ermöglichen«. Ausdrücklich widersprach Lange Finanzminister Christian Görke (LINKE), den er mit der Aussage zitierte, die Gegner der Reform wollten, »dass alles so bleibt wie es ist«. Dies sei eine »Falschaussage«, beteuerte Lange. In früheren Jahren hatte Hans Lange als Landrat immer wieder gefordert, dass Prignitz und Ostprignitz endlich wieder vereint sein müssten. Dieses sieht der Regierungsentwurf zur Neugliederung auch vor, denn die Landkreise Prignitz und Ostprignitz-Ruppin sollen zusammengelegt werden. Doch kam Lange darauf nicht zu sprechen.
Im Triumphzug der Reformgegner feierte sich auch CDU-Fraktionschef Ingo Senftleben, dessen Partei erst in dem Moment deutlich auf Distanz zur Neugliederung ging, als klar war, dass sie der 2014 gebildeten Landesregierung nicht angehören werde, sondern dass es bei der rot-roten Koalition bleibe. »Die Bürger wollen keine Zwangsvereinigung«, rief Senftleben. Seine CDU hat den Vorschlag gemacht, Kreise zur Kooperation ihrer Verwaltungen zu zwingen statt die Landkreise zusammenzulegen.
Zu diesem Vorstoß hatte der Landtagsabgeordnete Hans-Jürgen Scharfenberg (LINKE) ausgeführt, eine Zwangskooperation sei rechtlich kaum zu bewerkstelligen und deshalb weitaus schwieriger als eine Zwangsfusion.
Das Ergebnis der Volksinitiative müsse für die Regierung Anlass sein, »ihre Pläne auf Eis zu legen«, meinte Senftleben am Dienstag. Ein Bund aus CDU, FDP, regionalen Gruppen und Freien Wählern hatte vor rund 100 Tagen begonnen, die Unterschriften zu sammeln. Ihr durchschlagender Erfolg bedeutet zunächst nichts anderes, als dass der Landtag sich mit dem Anliegen noch einmal befassen muss. Landtagspräsidentin Stark skizzierte den Weg: Wenn nach der vierwöchigen Prüfungsfrist die Gültigkeit der Volksinitiative bestätigt ist, und daran gebe es wohl keinen Zweifel, müsse sich der Hauptausschuss des Landtags mit dem Anliegen befassen und binnen vier Monaten eine Beschlussvorlage erarbeiten. Lehnt der Landtag den Wunsch der Volksinitiative ab, stoppt er also nicht die Kreisreform, dann ist der Weg für ein Volksbegehren frei. Dabei sind binnen eines halben Jahres 80 000 Unterschriften zu leisten, und zwar in den offiziellen Auslegungsstellen oder per Briefwahl. Auf der Straße darf dann nicht wieder gesammelt werden. Kommen die 80 000 Unterschriften zusammen, beginnt das Spiel erneut. Lehnt der Landtag zum zweiten Mal ab, ermöglicht dies einen Volksentscheid.
Zweifellos sei die Zahl der Unterschriften hoch, gleichwohl nicht überraschend, meinte Linksfraktionschef Ralf Christoffers. Ein Grund, von der Reform grundsätzlich abzurücken, sehe er jedoch nicht. Das habe nichts mit Angst vor einem Gesichtsverlust zu tun. Landesregierung und Regierungsfaktionen seien aber weiterhin dialogbereit und nehmen mit Genugtuung zur Kenntnis, dass auch die Anhänger der Volksinitiative Veränderungsbedarf erkennen, sagte Christoffers. Es sei wahrscheinlich, dass es zu einem Volksbegehren komme. Den Initiatoren der Volksinitiative Täuschung vorzuwerfen, halte er nicht für ratsam. Das würde den »Dialog nicht befördern«, meinte Christoffers. Der Dialog werde zeige, »ob etwas korrigiert werden muss«. Das Organisieren einer Gegenkampagne stehe derzeit nicht zur Debatte, verriet der Linksfraktionschef.
Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) hatte den Gegnern der Kreisreform kürzlich vorgeworfen, mit verschiedenen falschen Tatsachenbehauptungen zu operieren.
Nach Ansicht des Landtagsabgeordneten Daniel Kurth (SPD) muss die hohe Zahl der Unterschriften ernst genommen werden. Doch: »Die Reform deswegen zu beenden, kommt nicht in Frage«, sagte er. Was die Sozialdemokratie davon abbringen könnte, »wäre der Nachweis, dass es keinen Reformbedarf gibt«, setzte er hinzu. Davon könne aber keine Rede sein und der Reformbedarf sei - übrigens auf Antrag der CDU - in einer Enquetekommission des Landtags auch festgestellt worden. Kurth zeigte sich zufrieden darüber, dass die meisten Redner der Volksinitiative einen Veränderungsbedarf einräumten. Kurth erinnerte: »Das Problem ist: Unser Land schrumpft und wächst zugleich.« Im Berliner Speckgürtel steigt die Bevölkerungszahl und außerhalb sinkt sie. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) äußerte im Vorfeld klipp und klar, er würde es auch auf einen Volksentscheid ankommen lassen.
Einmal ist eine Gebietsneugliederung - allerdings ganz anderer Art - schon am Nein der Bürger gescheitert und zwar schmählich. Am 5. Mai 1996 stimmten 62,7 Prozent der Brandenburger gegen die beabsichtigte Länderehe mit Berlin und brachten die Fusion damit zu Fall. Ministerpräsident Woidke ist beliebt. Aber Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD) ist in den 1990er Jahren auch beliebt gewesen und dennoch votierten die Bürger damals gegen die Länderehe. Kommentar Seite 4
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