Liesels Sparbuch und die Nazis

Ausstellung »Deportationsort« informiert über die Verschleppung von Juden aus Hannover

  • Hagen Jung, Hannover
  • Lesedauer: 3 Min.

Gerade mal 1,95 Reichsmark hatte Alice »Liesel« Abrahamson Mitte 1942 auf ihrem Schulsparbuch, als es ihr die Nazis wegnahmen. So wie sie es mit weiteren jüdischen Mädchen und Jungen machten, für die das Gelände der israelischen Gartenbauschule in Hannover-Ahlem kurze Zwischenstation war auf dem Weg in den Tod. Ein vorschriftsmäßig von drei Beamten unterschriebener Beleg, mit dem preußisch-pedantisch das »Vermögen« der 15-Jährigen dem Oberfinanzpräsidenten gemeldet wurde, ist derzeit im Ahlem zu sehen: in der Gedenkstätte, die noch bis zum 2. April mit einer Sonderausstellung an die »Judentransporte« während der Nazi-Diktatur erinnert.

Das NS-Regime hatte die Schule umfunktioniert zur Sammelstelle für die Verschleppung jüdischer Menschen. Doch nicht sie allein litten auf dem Gelände im Südwesten Hannovers. Es diente der Gestapo auch als Gefängnis, in dem sie Gegner der Hitlerherrschaft folterte und ermordete. An Wänden der Keller, in denen das geschah, sind Erinnerungen von Überlebenden zu lesen. Etwa an die vielen Tage, in denen sie dort eingepfercht waren, zusammen mit einem toten, schon verwesenden russischen Leidensgenossen.

In jenen Kellerräumen erinnern Dokumente, Schrifttafeln und Fotos nun an das Leid der 2173 jüdischen Kinder, Frauen und Männer, die Ahlem als Ort der Angst erlebten, ehe sie in die Ghettos nach Riga und Warschau oder gleich in die Lager Auschwitz und Theresienstadt transportiert wurden. Biografien führen den Besuchern der Gedenkstätte die Schicksale vieler Opfer vor Augen, ein Gleiches tun Berichte von Zeitzeugen der Deportationen. Zugleich, und darin liegt ein besonderer Wert dieser Ausstellung, werden Informationen zum Räderwerk der Vernichtung vermittelt, die über das Geschehen in Ahlem hinaus gehen.

Befehlsschreiben beispielsweise vermitteln Eindrücke vom Zusammenwirken verschiedener Dienststellen, die das Ihre zum Funktionieren der Tötungsmaschinerie taten. Zu lesen ist etwa ein Schreiben, in dem Reichsmarschall Hermann Göring den Chef der Terrorbehörde »Reichssicherheitshauptamt«, den SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich anweist: Er möge »alle Vorbereitungen für eine Gesamtlösung der Judenfrage« treffen.

Von dieser »Lösung«, das zeigen weitere Dokumente, profitierten nicht wenige »arische Volksgenossen«. Kaum hatten sie erfahren, dass »der Jude von nebenan« weg war, bekundeten sie bei der Finanzbehörde ihr Interesse für dessen Haus oder Grundstück, wollten es für wenig Geld erwerben. Solche Raffgier machte selbst vor geringwertigen Sachen nicht halt, wie in Ahlem ein Brief belegt. Ihn erhielt 1942 der Oberfinanzpräsident von einem Rudolf G., der in seinem Schreiben fragt, ob er die kleine Wäschemangel seines Nachbarn, des »umgezogenen« Juden Benno T., haben könne.

Gleich neben diesem Schrieb zeugt eine im Jahre 1943 getippte Liste davon, wie das NS-Regime selbst kleinste Dinge aus dem Besitz jüdischer Menschen an sich riss. Wegen der »Abschiebung nach Theresienstadt«, so heißt es auf dem amtlichen Vermerk, seien unter anderem eine Schlipsnadel, ein Füllfederhalter und ein Zigarrenabschneider »eingezogen« worden.

Nichts, aber auch rein gar nichts wollte man den Todgeweihten lassen, so wie man Alice Abrahamson ihr kleines Sparbuch mit 1,95 Reichsmark nicht ließ. Am 2. März 1943 wurde das Mädchen zusammen mit ihrer Mutter von der Sammelstelle Ahlem nach Auschwitz gebracht. Der Tag ihres Todes ist nicht bekannt.

Ausstellung »Deportationsort«, noch bis zum 2. April 2017 in der Gedenkstätte Ahlem, Hannover, Heisterbergallee 10. Geöffnet dienstags, mittwochs und donnerstags 10 bis 17 Uhr, freitags 10 bis 14 Uhr, sonntags 11 bis 17 Uhr.

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