»Nur nicht auf dumme Gedanken kommen...«

Beim Berliner Drogennotdienst steigen Abhängige in ein strukturiertes Leben ohne Droge ein

  • Jutta Blume
  • Lesedauer: 5 Min.
Drogenabhängige haben oft mehr Probleme als nur, die Sucht zu bewältigen. Der Berliner Drogennotdienst bietet seit über 20 Jahren Hilfe an.
»Zuerst wollte mich das JobCenter zum Arbeiten in den Wald schicken, aber dazu wäre ich körperlich gar nicht in der Lage gewesen«, erzählt Michael, der in der »werkstatt«, dem Arbeitsprojekt des Berliner Drogennotdienstes, tätig ist. Der junge Mann nimmt an einem Drogensubstitutionsprogramm teil. Er kommt jeden Tag für drei Stunden in das orange gestrichene Containergebäude an der Berliner Fasanenstraße.
Die Einrichtung will Drogenabhängige und -aussteiger wieder an einen geregelten Arbeitsalltag gewöhnen. Sie kochen das Mittagessen für sich selbst und die Bewohner der im selben Haus befindlichen Krisenwohnung, betreiben die Wäscherei, bauen Möbel und kleine Gegenstände in der Holzwerkstatt. Wenn Michael seine Maßnahme auf 1,50-Euro-Basis hier beendet hat, möchte er den Hauptschulabschluss machen und vielleicht eine Berufsausbildung anschließen. »Ich will tagsüber beschäftigt sein, um nicht auf dumme Gedanken zu kommen.« Der junge Mann klingt optimistisch. Er schwärmt von den Dingen, die er gerne lernen möchte.

Zusammenarbeit mit JobCentern
»Die Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt ist langfristiges Ziel, für die meisten jedoch momentan nicht realistisch«, meint Andrea Hardeling, Leiterin der »werkstatt«, zu den Perspektiven ihrer Klienten. Diese haben oftmals lange nicht gearbeitet und weder Ausbildung noch Schulabschluss. Damit die zumeist in Suchtbehandlung befindlichen Menschen in der »werkstatt« beschäftigt werden können, arbeitet die Drogennothilfe eng mit den jeweiligen JobCentern zusammen. Für Geschäftsführer Michael Hoffmann-Bayer ist das sehr wichtig. Für seine Klienten haben die Hartz-IV-Reformen einen Vorteil. »Endlich gelten Menschen als arbeitsfähig, die unter normalen Gesichtspunkten des Arbeitsmarktes nicht zu integrieren wären.« Als erwerbsfähig gilt nach Hartz IV, wer mindestens drei Stunden am Tag arbeiten kann. Schwierig wird es allerdings, wenn das JobCenter nach beendeter MAE-Maßnahme auf eine Integration in den ersten Arbeitsmarkt drängt, die schwierig ist, gibt Andrea Hardeling zu bedenken. Wird keine Folgebeschäftigung gefunden, geht die geregelte Tagesstruktur wieder verloren.

Keine Drogen in der Krisenwohnung
Die »werkstatt« ist nur eine von 13 Einrichtungen des seit 1984 bestehenden Berliner Drogennotdienstes, der mit offiziellem Namen »Notdienst für Suchtmittelgefährdete und -abhängige Berlin e.V.« heißt. Hier befindet sich auch die Krisenwohnung für Drogenabhängige, in der 15 Plätze für jeweils maximal einen Monat zur Verfügung stehen. Bedingung ist lediglich, in den Räumen keine Drogen zu konsumieren und alle drei Tage zum Gespräch zu kommen. Die Wohnung ist die einzige Unterkunft dieser Art in Berlin. Die Beratungsstelle in der Ansbacher Straße ist von hier zu Fuß zu erreichen. Sie ist für den Bezirk Tempelhof sowie für obdachlose Drogenkonsumenten zuständig, biet et aber auch Erstberatung ohne Termin an.
Sich bei der Vielzahl der Berliner Beratungsstellen und Suchthilfeeinrichtungen zurechtzufinden, dürfte schwer fallen. Über 20 verschiedene Trägervereine teilen sich hier die Arbeit. Der Drogennotdienst vermittelt zwar an die zuständige Stelle weiter, kümmert sich aber auch darum, dass das Erstgespräch keine verlorene Zeit ist. Informationen werden, soweit der Betroffene einverstanden ist, an die richtige Beratungsstelle weitergegeben. Bei manchen Klienten ist allerdings die sofortige Vermittlung in die Entzugsklinik von Nöten. »Es wäre unter Umständen lebensgefährlich, länger zu warten«, sagt Tobias Trilmich, Drogenberater beim Notdienst. Zu diesem Zweck bestehen Kooperationsverträge mit zwei Kliniken, so dass die Süchtigen ohne weitere Bürokratie behandelt werden können.
Neben der Betreuung und Vermittlung gehört auch die Prävention zum Programm, vor allem im Jugendbereich. Aus dem Drogenbericht 2006 geht hervor, dass über ein Viertel aller Jugendlichen schon mal Cannabis konsumiert hat, das Einstiegsalter liegt bei 16 Jahren. Laut Bundesdrogenbeauftragter trinken 20 Prozent der Jugendlichen im Alter von 12 bis 25 Jahren regelmäßig Alkohol. Auch Partydrogen spielen bei Jüngeren eine Rolle. Anders als die erwachsenen Drogenkonsumenten werden Jugendliche oft von ihren Eltern oder Schulen zur Drogenberatung geschickt. In Kleingruppen werden sie dazu angeregt, über ihre Konsumgewohnheiten nachzudenken. Dabei soll den Jugendlichen vermittelt werden, dass ihre Lieblingsbeschäftigungen »Freunde treffen, Partys feiern und Chillen« in Ordnung sind, aber nur, solange nicht die Freiheit dazu durch drogenbedingte Probleme verloren geht. Jüngere Konsumenten werden über das neue Angebot der Online-Beratung erreicht.
Seit neuestem versucht der Verein mit dem Programm »Contraddict« auch das Problem des gleichzeitigen Missbrauchs mehrerer Substanzen anzugehen. In der Methadonbehandlung wird Heroin als »Hauptdroge« ersetzt. »Durch die Lösung des Heroinproblems sind aber noch nicht automatisch alle anderen Probleme lösbar«, sagt Bernd Westermann, Leiter der Ambulanz für Integrierte Drogenhilfe. Drei Viertel der Methadonpatienten konsumieren während der Therapie andere Drogen, darunter Alkohol, Medikamente und Cannabis, einige auch Heroin. Dabei müsse man aber zwischen einem unproblematischen und problematischen Beikonsum unterscheiden, so Westermann. Im Contraddict-Programm schließen die Patienten mit der Betreuungsstelle einen Vertrag ab, wie sie ihren gesamten Konsum künftig kontrollieren wollen. Das Ziel sollte dabei allerdings realistisch gesteckt werden. Das Programm wird wissenschaftlich von der Charité begleitet. Insgesamt sei die Forschungslage zum zusätzlichen Drogenkonsum während einer Substitutionstherapie aber schlecht, beklagt Westermann.

Legale Suchtmittel auf dem Vormarsch
Der Ersatz von Heroin durch Methadon ist inzwischen weitgehend anerkannt und wird für die seit dem Jahr 2000 rückläufigen Zahlen von Drogentoten verantwortlich gemacht. Im Jahr 2000 starben noch 2030 Menschen infolge des Konsums illegaler Rauschmittel, 2005 waren es noch 1326. Laut Drogen- und Suchtbericht 2006 gibt es 120 000 bis 150 000 Opiatabhängige, wovon sich knapp die Hälfte in Substitutionsbehandlung befindet. Der Ersatz von illegalem Heroin durch ärztlich verschriebenes, und damit nicht verunreinigtes Heroin bleibt aber trotz eines erfolgreichen Modellversuchs umstritten. Obwohl sich in diesem Versuch der Gesundheitszustand der Teilnehmer verbessert hat, sie weniger andere Drogen nahmen und seltener kriminell wurden, wurde die Möglichkeit der heroingestützten Behandlung bisher nicht ins Betäubungsmittelgesetz aufgenommen.

Die Drogenproblematik ist nicht
auf illegale Substanzen beschränkt. Nach Angaben des Bundesamts für Statistik starben in Deutschland im Jahr 2005 14 940 Menschen am Alkoholkonsum bzw. alkoholbedingten Leberschäden. 1,7 Millionen Menschen gelten als alkoholabhängig und 1,4 Millionen als medikamentenabhängig.


Drogennotdienst Berlin e.V.
Ansbacher Straße 11, 10787 Berlin
Tel.: (030) 219 160 10
Fax: (030) 218 99 46
E-Mail: info@drogennotdienst.org, www.drogennotdienst.org
24-Stunden-Beratung am Telefon: (030) 192 37
Bundesweite Sucht- und Drogenhotline: (01805) 31 30 31
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