Afghanistan: »Sicherheitslage ist nirgendwo gut«

Menschenrechtsbeauftragte Kofler: Abschiebungen sofort stoppen / Grüne in den Ländern fordern vom Bund Neubewertung der Situation

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München. Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler (SPD), hat einen Stopp der Abschiebungen nach Afghanistan gefordert. Nicht die Sicherheitslage in dem Land habe sich verändert, »sondern die innenpolitische Diskussion«, sagte Kofler der »Passauer Neuen Presse«. Diese dürfe nicht kurzfristig auf dem Rücken der Menschen ausgetragen werden, gefordert seien »neue Ansätze in der Integrationspolitik«. Die Sicherheitslage in Afghanistan möge von Region zu Region verschieden sein, »gut ist sie aber nirgendwo«, sagte die SPD-Politikerin.

Angesichts der Dauer der Kriege und Konflikte in Afghanistan hätten viele der aus Afghanistan nach Deutschland geflüchteten Menschen mittlerweile »ihren Platz in unserer Gesellschaft gefunden«, sagte Koflerder Zeitung. Sie selbst und auch die Deutschen, die sie bei ihren Integrationsbemühungen unterstützten, könnten nicht verstehen, »dass sie plötzlich aus ihrem Lebensumfeld gerissen werden«. Die Bundesregierung hat Ende vergangenen Jahres damit begonnen, abgelehnte Asylsuchende nach Afghanistan abzuschieben.

Unterdessen will sich die nordrhein-westfälische Landesregierung einem Bericht zufolge nicht an der nächsten Sammelabschiebung nach Afghanistan beteiligen. Die in Düsseldorf erscheinende »Rheinische Post« (Samstag) berichtete unter Berufung auf Kreise des Landesinnenministeriums, dass die nächste Sammelabschiebung »in Kürze« vom Flughafen München aus starten und keine Afghanen aus Nordrhein-Westfalen an Bord haben solle. Zu den ersten beiden Sammelabschiebungen hatte das Bundesland noch abgelehnte afghanische Asylbewerber angemeldet.

In den vergangenen Tag war die Kritik an den Abschiebungen bundesweit deutlich gewachsen. Die Grünen in den Bundesländern forderten Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) am Freitag auf, die Sicherheitslage in Afghanistan neu zu bewerten. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann verschickte einen Brief im Namen von Parteifreunden aus zehn der elf Bundesländer, in denen die Grünen mitregieren. Nur Niedersachsen war nicht dabei. Das Schreiben lag der Deutschen Presse-Agentur vor.

Kretschmann verwies auf Berichte über die angespannte Lage in Afghanistan. Zwar wüssten die Grünen, dass Menschen ohne Anspruch auf Asyl oder Schutz nicht auf Dauer in Deutschland bleiben könnten. »Wir sehen jedoch unabhängig davon unsere Verantwortung, diese Menschen nur bei vertretbarer Sicherheitslage zurückzuführen«, schrieb er. Bislang gab es je eine Sammelabschiebung im Dezember und Januar.

Die Sicherheitslage in Staaten einzuschätzen ist Sache des Bunds, die Länder sind aber für die Abschiebungen zuständig. Sie können diese aussetzen, wie es Schleswig-Holstein für Menschen aus Afghanistan getan hat. Rückführungen nach Afghanistan sind umstritten, da in etlichen Teilen des Landes Regierungstruppen nach wie vor gegen radikal-islamische Taliban-Rebellen kämpfen.

Die Bundesregierung argumentiert dagegen, es gebe in dem Land auch sichere Regionen. Sie dürfen »nicht länger die zunehmend prekäre Sicherheitslage in Afghanistan ignorieren und stur an ihrem Kurs festhalten«, sagte die stellvertretende Ministerpräsidentin in Nordrhein-Westfalen, Sylvia Löhrmann. Sonst drohe sich in Deutschland eine uneinheitliche Praxis bei Abschiebungen zu verfestigen. Agenturen/nd

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