Der Schimmer der Haut

Die Hamburger Autorin Dagmar Fohl schrieb den Roman einer besessenen Künstlerin

  • Monika Melchert
  • Lesedauer: 4 Min.

Kann man Leben und Tod gleichzeitig in ein Bild bannen? Lässt sich mit Farben erzählen, wie der eine Zustand in den anderen übergeht? Die Hamburger Autorin Dagmar Fohl folgt dieser Fragestellung in einem berührenden Künstlerroman, der Geschichte der jungen Malerin Emma Bendes. Die wird getrieben vom Trauma ihrer Schuld am Unfalltod des kleinen Bruders, auf den sie nicht achtgegeben hat: Sein Sterben hat in ihr alle Lebensflammen entzündet.

Vorher war sie ein schwaches, immer kränkliches Mädchen, dem man nicht zutraut, aus eigenen Kräften etwas zu werden. Sie verlässt das wohlhabende Lübecker Elternhaus, um einen Weg nur für sich zu suchen, studiert Malerei; fährt nach Paris, weil sie spürt, dass sie in Deutschland nicht weiterkommen wird mit ihrem künstlerischen Anliegen, ausschließlich den männlichen Akt zu zeichnen, zu malen. Die Moralvorstellungen in der deutschen Kunstwelt um 1900 sind noch so rigide, dass man den »Malweibern« nicht zugesteht, einen nackten Mann abzubilden. Allein der Galerist Gurlitt ist ein einziges Mal bereit, ein Bild von ihr auszustellen - doch schon bald beugt auch er sich der öffentlichen Entrüstung und hängt es ab. Als sie bei einer Vernissage der großen Käthe Kollwitz begegnet, wird sie ermutigt, dennoch weiterzumachen und von ihrem inneren Auftrag nicht abzulassen.

In Berlin nimmt sie sich ein Atelier, die Großstadt ist anonym genug, um unterzutauchen; sie lebt isoliert von anderen Menschen, knüpft weder Freundschaften noch Liebesbeziehungen, ist einzig von ihrer Vision besessen, den menschlichen Körper, die nackte Haut, das existenziell Gefährdete seiner Natur so zu malen, dass sie ihre inneren Bilder darin wiedererkennt - bis ihr in einem Café ein junger Mann begegnet: ärmlich, dünn, aber sauber: ein schöner Körper, der vom andauernden Opiumkonsum zerstört wird. Er wird ihr Modell, ihr einziges Kunstobjekt, steht und liegt ihr Akt, verlangt dafür, dass sie ihn akzeptiert, wie er ist, und ihm Opium beschafft, wieder und wieder.

Diese beiden Menschen geraten in eine merkwürdige Abhängigkeit voneinander: Jeder dient dem anderen für das, was ihm am wichtigsten ist im Leben. Für Emma ist es die Kunst: ihre Obsession, die sich weder aufhalten noch dosieren lässt, die von ihrem Willen nicht zu regulieren oder zu stoppen ist. Sie will, sie muss ihr Werk vollenden und den Körper eines Menschen so malen, wie er im Moment des Sterbens aussieht, im Übergang vom Leben zum Tod, wie sich die Färbung der Haut verändert im Prozess der Auflösung. Ein kühner Wunsch, denn dafür ist sie gezwungen, den Tod ihres Modells in Kauf zu nehmen - mit einer Überdosis Opium. Sie geht bis zum Äußersten, einzig getrieben von dem inneren Auftrag, das Gemälde zu schaffen, das all das in sich vereint, was sie seit dem frühem Tod des kleinen Bruders in sich fühlt.

Der Roman ist ein ununterbrochener Strom der Beichte einer Künstlerin. Sie erzählt ihre Geschichte von Anfang an bis zum gelingenden Ende, atemlos, reuelos, ohne Selbstüberhebung und Selbstbezichtigung, eine Geschichte von Schuld und Sühne. Dagmar Fohl begibt sich tief hinein in die Psyche dieser jungen Frau. Mit einer sensiblen Sprache, die dem immerwährenden Pochen im Kopf ihrer Protagonistin nachgeht, macht sie deutlich, warum diese Künstlerin nicht anders kann, als kompromisslos immer weiter zu gehen.

Das Bild, das schließlich entsteht, ist wie ein stummer Schrei einer Malerin, der nichts auf der Welt wichtiger ist als umzusetzen, was sie als Vision vor sich sieht. Dafür setzt sie sich über alles in der Gesellschaft hinweg, was sie hindern könnte, ihr Ziel zu erreichen. Beeindruckend, mit welcher Intensität Dagmar Fohl die hartnäckige, unerbittliche Suche der Malerin schildert, unter den zahllosen Farbnuancen denjenigen Ton zu treffen, der die Haut des Menschen bei verschiedenem Lichteinfall oder Schattenwurf am wirklichkeitsgetreuesten wiedergibt. Und das leuchtende Rot in einem frühsommerlichen Mohnfeld kontrastiert dazu auf geradezu magische Weise.

Dagmar Fohl: Der Schöne im Mohn. Ein Künstlerroman. Gmeiner Verlag, 121 S., geb., 12 €.

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