Ekstatische Exaktheit
Im Kölner Museum Ludwig ist die bislang größte Retrospektive des Malers und Bildhauers Otto Freundlich zu sehen
Wie sieht linke Kunst aus? Müssen auf ihren Gemälden Bauern hungern und sich Barrikaden türmen? Der Maler und Bildhauer Otto Freundlich erklärte, linke Kunst könne nur auf einem »kosmischen Kommunismus ruhen, von dem der wirtschaftliche Kommunismus ein notwendiger, wenn auch untergeordneter Teil ist«. Weder Privateigentum noch fixe Gegenstände könne es in diesem Kommunismus noch geben, deshalb drücke er sich eben abstrakt aus.
Solche Ansichten erschienen schon vor 100 Jahren vielen abwegig. John Heartfield spottete, mit Freundlichs hochfliegender Kunst lasse sich nicht einmal ein Dutzend Arbeiter mobilisieren. Aber die Mobilisatoren der Arbeiter gibt es nicht mehr und Freundlichs Zeit muss erst noch kommen. Jetzt zeigt das Kölner Museum Ludwig die bislang größte Retrospektive dieses unterschätzten Meisters.
Unterschätzt wurde Freundlich noch am wenigsten zu Lebzeiten, als seine Unbestechlichkeit zumindest den Künstlerkollegen nicht entgehen konnte. Er trat in ihre revolutionären Vereine ein und trat wieder aus ihnen aus, weil sie ihm nicht revolutionär genug waren. Deutlich wurde er bei seinem Austritt aus dem Deutschen Werkbund, dem Arbeitsrat für Kunst und der Novembergruppe: »Diese drei Institute gleichen einander wie Drillinge, gezeugt in dem Bette der Bürokratie, getauft mit dem Wasser der bürgerlichen Kirche, durchtränkt von dem Geiste des Snobismus, des Strebertums und der ganzen merkantilen Infektion.« Gezeichnet: Otto Freundlich, 1919.
1924 nach Paris übersiedelt, gehörte er seit ihrer Gründung 1931 zu der fortschrittlichen Künstlergruppe Abstraction-Création, nur um sie 1934 wieder zu verlassen, »weil der Platz eines revolutionären Künstlers in dieser entscheidenden Zeit einzig und allein an der Seite des revolutionären Proletariats sein muss«. Nach dieser Erklärung zog er jedoch weder in den Spanischen Bürgerkrieg, noch begann er damit, Bauern und Barrikaden zu malen. Er saß weiter an seinen farbigen Feldern, die für ihn die »offene Gemeinschaft« vorwegnahmen. Die Farbe »weiß«, was nach der »Diktatur des Proletariats« kommt, nämlich die »von keiner Diktatur beherrschte, freie und internationale menschliche Gemeinschaft«. Die Farbe weiß es. Die Farbe kennt die Zukunft. Die Farbe bringt die Zukunft.
Seine kühnen Ideen fanden keine Nachfolger, aber rangen Respekt ab. Das erwies sich 1938. Zu dieser Zeit wurde Freundlich in der Femeausstellung »Entartete Kunst« vorgeführt. Nun sammelten Künstler in Paris für den stets mittellosen Mann. Die Liste der Spender beginnt mit den Namen Sophie und Hans Arp, Georges Braque und Alfred Döblin und endet mit Wassily Kandinsky, Pablo Picasso und Georges Vantongerloo. Bei der Gelegenheit sah auch Samuel Beckett Werke Freundlichs und zeigte sich von ihnen sehr angetan. Nur wenige verweigerten die Unterstützung, so Paul Klee, der betonte, er sei »im menschlichen Recht, wenn ich selbst nicht beitrage zu etwas, was als Handlung gegen das heutige Deutschland aussieht«.
Derweil trug das »heutige Deutschland« Freundlichs »Großen Kopf« von 1912 als »Entartete Kunst« durchs Land, nannte die Skulptur, die auch auf dem Umschlag des Ausstellungsführers zu sehen ist, »Ausgeburt einer geistesgestörten Phantasie« und ein »Machwerk«, das »im Dritten Reich ausgerottet« werde. Als ob das nicht genügt hätte, ließ man den »Kopf« durch eine Fälschung ersetzen, die mit ihren dicken Lippen so aussieht, wie sich noch heute manche Zeitgenossen einen typischen Afrikaner vorstellen. Kurz darauf breitete sich das ausrottende Reich gen Osten und Westen aus und rückte auch dem Juden Freundlich bedrohlich nahe. Er floh nach Südfrankreich, wo er von einem Nachbarn verpfiffen wurde. 1943 ist Otto Freundlich im KZ Sobibor ermordet worden.
Und dann trat eine große Stille ein. Niemand sprach mehr von dem »kosmischen Kommunisten«. Niemand zeigte, was von seinem Werk die Zerstörung überdauert hat. Zu den wenigen Ausnahmen zählen die Retrospektiven, die ihm 1960 und 1978 in Köln und Bonn gewidmet worden sind. Im Rheinland erinnerte man sich gelegentlich an den Genossen der ebenso in Vergessenheit geratenen »Kölner Progressiven« (Franz Wilhelm Seiwert, Gerd Arntz u.a.). Ein rheinischer Künstler ist Freundlich jedoch so wenig gewesen wie ein französischer. Er war ein Internationalist durch und durch, und wenn es etwas gibt, das, neben Farbe, seine Kunst bestimmt, dann ist es die Überwindung der Grenzen, aller Grenzen, ob von Nationen, Menschen oder Dingen. Die Farbe überwindet die Grenzen, aber doch ganz anders als im Expressionismus, denn es gibt hier kein Gefuchtel und Gespritze. Seine Revolution hat System, es bildet sich schwungvoll aus der Fläche, bleibt in der Fläche und meint doch immer den Raum, den weiten Raum.
Die Flächigkeit unterscheidet seine Kunst vom Kubismus, dem er früh, 1908, in Paris begegnet ist. Er befreundete sich mit Picasso, aber von dessen Kuben wollte er nichts wissen. Er befreundete sich mit Sonia und Robert Delaunay, aber auch deren »Orphismus« konnte er sich nicht anschließen. Der reife Freundlich sucht nicht wie der Orphismus den »Simultankontrast«, sondern den Verlauf, die Bahn der Farbe. Etwa ergeben sich aus Feldern in Dunkelblau welche in Hellblau und Grau. Solchen Entwicklungen folgt das Auge unwillkürlich. Die Rauten und Spitzbögen, aus denen sie sich zusammensetzen, erinnern nicht umsonst an mosaikartige Kirchenfenster.
1914 hatte er ein halbes Jahr in der Kathedrale von Chartres verbracht und die gotischen Ornamente ihrer Rosetten studiert. Er sah in ihnen sowohl Komposition als auch »Dekomposition« - ein »Wort mit kosmischer Gebärde«. Denn im Kosmos ballt sich Energie nicht nur, sie zerstreut sich auch, sein Werden und Vergehen spiegelt sich auf dem Fenster, der Membran zwischen ihm und dem Betrachter. Die Gemälde Freundlichs sind verwandelte Glasmalerei. Auf ihnen lässt er alles Erzählerische und Gegenständliche hinter sich. Farbe und nichts als Farbe ersetzt Dinglichkeit und beendet so die »Diktatur des Besitzes«. Denn was Ding, was greifbar ist, kann besessen werden, jedoch das nicht, was sich in Bewegung befindet. Deshalb vermittelt die Bewegung der Farbe Unbegrenztheit, nimmt sie die »freie und internationale menschliche Gemeinschaft« vorweg, reißt sie einen Kosmos auf, der nicht hinterm Mond, sondern direkt neben dir und mir beginnt.
»Kosmos« ist hier ein anderes Wort für das Ganze, dessen Teile wir notwendigerweise sind. Nur von oben wird das Gemeinsame, das Kommune, das Kommunistische sichtbar. Und wer hätte zuletzt an das Gemeinsame erinnert? Es muss einer nicht glauben, was Otto Freundlich behauptet, aber seine ekstatische Exaktheit mobilisiert.
Otto Freundlich: Kosmischer Kommunismus. Museum Ludwig, Köln, 18. Februar bis 14. Mai, danach in Basel. Der Katalog, herausgegeben von Julia Friedrich, ist bei Prestel erschienen, 352 S., 49,95 €.
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