»Demonstrieren, das ist nicht genug«

Radiotipp: Feature »Unsere Träume passen nicht in eure Urnen« zum Protestfrühling 2016 in Frankreich

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 3 Min.

»Demonstrieren, das ist nicht genug«, spricht einer der Aufrechten, »wir wollen einen Platz besetzen und ihnen Angst machen. Das war überhaupt die Losung: Die Mächtigen in Angst versetzen.« So hebt das Feature von Ruth Jung an. Beatrix Ackers hat es dieser Tage für den Deutschlandfunk inszeniert. In allen Belangen – Stimmen, Dokumente, Texte, Sprecherinnen und Sprechern, Musik- und Klangauswahl, Collagen – eine starke Arbeit. Eindringlich gibt das Feature die Inhalte wieder, die derzeit nicht nur in Paris, sondern weltweit Menschen antreibt, zu sagen, dass ihnen die Wirklichkeit, wie sie ist, nicht gefällt.

Die Bewegung »La Nuit debout« erhält modellhaft Stimme und Ausdruck in dem Stück. Sie spricht über ihr Tun und die vielen, die sich zu ihren Aktionen ideell wie praktisch dazu gesellten. Einzelne sprechen stellvertretend für viele, erklären, wie es anfing und warum, welche Ziele sie verfolgten mit welchen Losungen, warum sie die Nacht, statt den Tag, wählten, und sich daher den Namen »La Nuit debout« (Aufrecht durch die Nacht) gegeben haben.

Los ging es vor über einem Jahr, als die französische Regierung die Arbeitsgesetze im Interesse der Bosse zu novellieren trachtete, und junge Leute – Schüler, Studenten, Auszubildende, junge Lohnabhängige – nachts auf Plätzen darüber diskutierten, was nötig ist, den unsozialen Zustand umzuwerfen. Konkret widersetzte sich »La Nuit debout« der Demontage des Arbeitsrechts. Und auch der »Gewaltherrschaft des Kapitals mit Krieg und Vertreibung«, was das Feature nicht thematisiert.

»La Nuit debout« ging seinerzeit wie ein Lauffeuer durchs Land. Der Protest erreichte zahllose französische Städte und überschritt die Grenzen nach Spanien und Belgien. Die ausharrenden Aufrechten erfuhren weltweite Solidarität. Das Feature erinnert in Ausschnitten an solche Momente. Subjektives Erleben, Motive des Handelns, widerständige Ideen stehen in rascher Folge und akustisch farbenreicher Instrumentierung im Fokus.

Paris, Wiege der modernen bürgerlichen Revolutionen, gilt seit Jahrhunderten als Zentrum von Protesten. Die Hollande-Regierung peitschte gleichwohl die antisozialen Gesetze mit Hilfe ihrer Gewaltapparate durch. Irgendwann verebbte »La Nuit debout«. Jedoch ohne Ende ist, wofür die Aufrechten stritten. All die jungen Leute, die protestierten, gibt es ja noch. Sie vergaßen und vergessen nicht, wofür sie einstanden und wogegen sie ihre Stimme erhoben. Dies ist der Hauptpunkt in dem Hörstück. Er manifestiert sich in vielerlei Material aus O-Tönen Beteiligter.

Die Pariser Banlieues brennen wieder. Empörung entlädt sich angesichts schlimmster, ekelerregender Gewalttaten von Polizisten. Vor allem jene ins Abseits Getriebenen in den nördlichen Vorstädten der französischen Hauptstadt wehren sich. Polizeigewalt ist dort alltäglich. Auch in diesem aktuellen Zusammenhang steht die allemal hörenswerte Sendung. Wie hierzulande stehen in Frankreich Wahlen an. Eine Frau aus »La Nuit debout« sagt im O-Ton: »Diesen Herren seine Stimme zu geben, passt nicht in unsere Träume.«

Deutschlandfunk, 19.15 Uhr

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.