Abgeschoben nach Afghanistan
168 Flüchtlinge sind 2016 aus Brandenburg in den Krisenstaat zurückgekehrt, 154 freiwillig
In Südbrandenburg haben zuletzt viele Afghanen mitgeteilt bekommen, dass sie Deutschland binnen eines Monats verlassen sollen. Manchmal sollen die Großeltern gehen, während die erwachsenen Kinder und die Enkel vorerst noch bleiben dürfen. Das erzählt ein Afghane, der dort als Dolmetscher arbeitet. Es gebe Fälle, sagt er, wo nun lieber die ganze Familie zurück in die Heimat reisen möchte, ehe das alte Mütterchen allein dorthin muss, wo es so gefährlich sei. In Afghanistan herrscht seit 1979 Krieg. Eine großer Teil der Bevölkerung kennt nichts anderes. Doch im Moment spitze sich die Lage wieder einmal zu, erklärt der Dolmetscher. »Wir hören täglich Nachrichten. Es wird immer schlimmer.« Nach Übersicht der Organisation Pro Asyl verzichten derzeit die Länder Schleswig-Holstein, Bremen, Thüringen und Niedersachsen auf Abschiebungen nach Afghanistan. In Brandenburg setzen sich die oppositionellen Grünen für einen Abschiebestopp ein. Ihr Antrag steht auf der Tagesordnung der Landtagssitzung am kommenden Freitag. Die Abgeordnete Ursula Nonnemacher gesteht: »Ich rechne mit einer aufgeregten Debatte. Mit Zustimmung zu unserem Antrag rechne ich nicht.«
Denn gegen Abschiebungen nach Afghanistan ist im Parlament nur noch die LINKE. Die regiert zwar mit, müsste aber die SPD überzeugen. Nach nd-Informationen versucht sie dies auch. Am vergangenen Donnerstag wurde die Angelegenheit im Koalitionsausschuss besprochen, dabei jedoch noch keine Einigung erzielt.
Eine Schwierigkeit besteht darin, dass Länder Abschiebestopps nur für maximal drei Monate verfügen dürfen, und dass die Ausländerbehörden bei den Kreisverwaltungen angesiedelt sind und davon abhängig, wie der Bund die Sicherheitslage in Afghanistan einschätzt.
Eingedenkt dessen und angesichts der Kräfteverhältnisse im Landtag läuft der Antrag der Grünen darauf hinaus, die LINKE vorzuführen, falls diese sich eventuell gezwungen sehen sollte, aus Koalitionsdisziplin gegen ihre eigene Überzeugung zu stimmen. Dabei ist noch zu bedenken, dass andere Bundesländer, in denen die Grünen mitregieren, etwa Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, Flüchtlinge nach Afghanistan zurückschicken.
Aus Brandenburg sind im vergangenen Jahr 154 Afghanen freiwillig ausgereist. Dabei ist allerdings zu bemerken, dass die sogenannte freiwillige Ausreise oft nur deshalb gewählt wird, weil es dazu eine Starthilfe von bis zu 2000 Euro gibt und andernfalls in der Regel irgendwann eine Abschiebung ohne diesen Zuschuss droht. Förmliche Abschiebungen hat es 14 gegeben. Dazu kommen noch zehn Rückführungen nach der Dublin-Bestimmung. Das heißt, die Menschen wurden in den ersten EU-Staat zurückgebracht, den sie auf ihrer Flucht erreicht hatten.
Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) beruft sich auf Recherchen des Auswärtigen Amtes und des Bundesinnenministeriums, wonach es in Afghanistan angeblich sichere Regionen gebe. Deshalb schiebe Brandenburg in diese Regionen ab, erklärt er. Die Bundesländer sollten Schröters Meinung nach nicht von den Vorgaben des Bundes abweichen. Mit Blick auf lediglich 14 Abschiebungen kritisiert er: »Wir führen eine Scheindebatte.«
Das glaubt die Landtagsabgeordnete Andrea Johlige (LINIKE) nicht. »14 sind 14 zu viel! Und nein, das ist keine Scheindebatte«, betont sie. »Hier geht es darum, ob wir Menschenleben in Gefahr bringen.« Die LINKE werde die Nachricht, dass es 14 Abschiebungen nach Afghanistan gegeben hat, zum Anlass nehmen, mit der SPD »eine humane Lösung zu suchen, auch wenn der Innenminister das anders sieht«.
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