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Versuchslabor Vergangenheit

Die Ausstellung »Past is not Post« im Oldenburger Museum für Medienkunst

  • Radek Krolczyk
  • Lesedauer: 5 Min.

Past is not Post» ist der prägnante und doch rätselhafte Titel einer Ausstellung, die derzeit im Oldenburger Museum für Medienkunst, dem Edith-Russ-Haus, zu sehen ist. Denn was genau soll das heißen? Dass die Geschichte nicht vergeht? Oder, im Gegenteil, dass sie nicht wiederkehrt?

Gemeinsam ist den künstlerischen Arbeiten, die von den Kuratoren Benj Gerdes und Lasse Lau unter diesem Titel zusammengefasst wurden, eine Form aktiver Bemächtigung der Geschichte. Man wird in den zahlreichen Videoarbeiten mit historischen Bildern, auch historischen Filmmaterialien konfrontiert und nimmt an Versuchen Teil, Vergangenes zu erinnern und zu verstehen. Dabei geht es sowohl um eine eigene, persönliche, aber auch um eine kollektive, gesellschaftliche Geschichte.

Die Entwicklung der Filmtechnik in den vergangenen Jahrzehnten verstärkt die Verschränkung beider Bereiche immer mehr. Etwa dann, wenn Aufnahmen von Ereignissen des öffentlichen Interesses nicht nur in den «Tagesthemen» zu sehen sind, sondern auf Blogs und in den sozialen Medien thematisiert werden. Das ist dann eine Aneignung der Gegenwart als zukünftiger Geschichte.

In der aktuellen Videokunst sieht das dann etwa so aus: Die Amerikanerin Michelle Dizon stellt in der Dreikanalfilmarbeit «Civil Society» (2008) ein historisches, aber auch topografisches Panorama von Jugendunruhen der vergangenen 30 Jahre her. Konkret zeigt die 1977 in Los Angeles geborene Künstlerin Bilder der Aufstände der arabischen Jugendlichen der Pariser Vorstadt Clichy Sous-Bois sowie der schwarzen Bevölkerung in Los Angeles 1965 und 1992. Alle Ereignisse wurden durch das schikanöse Verhalten der weißen Polizei gegenüber arabischen und schwarzen Jugendlichen ausgelöst. Stets spielte dabei das Gerücht eine wichtige Rolle - gepaart allerdings mit der Gewohnheit rassistischer Gewaltausübung durch die Polizei.

1992 in Los Angeles etwa hat jemand mit einer Videokamera von seiner Wohnung aus die Szene gefilmt, in der Polizisten auf jemanden einschlagen. Das private Video gelangte zu einigen Fernsehsendern und wurde auf diese Weise öffentlich. Seine häufige Ausstrahlung führte schließlich zu den bekannten Unruhen. Was die Aufnahme nicht zeigt, ist der Vorlauf: Der Afroamerikaner, auf den die Polizisten hier einschlagen, wurde von diesen alkoholisiert bei einem Autorennen aufgegriffen und versuchte, sich der Verhaftung zu widersetzen. Die Amateuraufnahmen sind in Dizons Arbeit auch zu sehen.

Es ist überraschend, wie sehr das anfällige Medium Videoband gealtert ist. Das stark verzerrte, grünlich gefärbte Bild ist zunächst kaum zu entziffern. Der Umstand der brutalen Verhaftung ist heute anhand der Bilder noch weniger zu verstehen. Was «Civil Society» jedoch verständlich zu machen versucht, ist ein struktureller Zusammenhang zwischen den drei Unruhen: Armut, Angst und Gewalt als ethnisch gebundene Eigenschaften. So zeigen die drei aneinander montierten Leinwände die Fassaden der Wohnblöcke in Clichy-Sous-Bois. Die Fahrten der Kamera variieren, und doch bleibt nichts als diese Fassade.

Die besonderen Eigenschaften des zeitbasierten Materials, auf das Erinnerungen gebannt sind, spielen tatsächlich in mehreren Arbeiten eine große Rolle. So etwa Andrea Geyers Installation «Gezeiten» (2015). Die 1971 in Freiburg geborene und in den USA lebende Videokünstlerin lädt die Betrachter ihrer Arbeit ein, es sich auf einem Sofa aus den deutschen 50er Jahren bequem zu machen. Auf einer Leinwand davor flimmern insgesamt 6000 Dias aus dem Besitz ihrer Großmutter Marga Federlin, die von 1899 bis 1991 lebte. Diese hat die Dias in der Nachkriegszeit während ihrer Reisen durch Europa, Nordafrika und Russland aufgenommen. Aus dem Lautsprecher sind drei Stimmen zu hören, die in loser Folge Worte aufsagen: «Auslöschung, Bahnhof, Banalität des Bösen, Befangenheit». Die Reisebilder der deutschen Frau, die nach Krieg und Shoah ihre Freiheit genießt, sind dadurch verpestet, denn diese Freiheit ist voller Schuld. Ebenfalls ein Dia zeigt die Arbeit «Image to Absalon to be Projected until it Vanishes» des 1961 in Nevada geborenen Matthew Buckingham. Die 2001 entstandene Installation zeigt nur ein einziges Dia: eine Reiterstatue des mythischen, dänischen Kriegsherren Absalon, fotografiert von hinten. Die Projektorlampe verbrennt nach und nach die Emulsionsschichten des Dias und bringt die massive Gestalt langsam zum Verschwinden.

Eine ganz andere Geschichte erzählt Akram Zataai in seinem Film «Red Chewing Gum» (2001). Der 1966 in Saida im Libanon geborene Zataai verliest einen Brief an seinen Geliebten, den er vor 15 Jahren aus den Augen verlor. Die Szenen sind traumartig, man bewegt sich mit der Kamera durch die engen Gassen des Beiruter Stadtteils Hamra. Es ist Nacht und die Bilder sind verschwommen, man sieht undeutlich Lichter glimmen. Zataai versucht, eine bestimmte Nacht zu rekonstruieren oder vielmehr wieder lebendig werden zu lassen. Und so kreist er um eine kleine Szenerie, in der er und sein Geliebter gemeinsam nachts einem jungen Straßenhändler begegnen, der Kaugummis an Passanten verkauft. Man sieht ihn eine schmale dunkle Gasse entlanglaufen, dann setzt er sich und beginnt, die Kaugummis auszupacken und auszulutschen. Man kann die feuchten Kaugummis, die er aus seinem Mund holt, von Nahem sehen. Ein einzelnes ausgelutschtes und vor Speichel glänzendes rotes Kaugummi steckt sich der Freund des Erzählers in den Mund. Die Rekonstruktion einer ganzen Liebe wird hier über einen solch kleinen Moment vollzogen, wie die nächtliche Begegnung mit diesem Händler. Innerhalb der Ausstellung ist dies wahrscheinlich die poetischste Arbeit. Gesellschaftlich ist sie auch - weil durch die Liebe dieser beiden Männer die gesellschaftliche Entwicklung in diesem arabischen Land eingefangen wird.

Die Ausstellung ist noch bis zum 19. März zu sehen.

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