Nur Freilassung wäre angemessen
Wut und Proteste nach Anordnung von Untersuchungshaft für »Welt«-Korrespondent Deniz Yücel
Eigentlich war der Plan der Berliner Freunde, Kollegen und Unterstützer, am Dienstagabend zusammen mit Deniz Yücel Korso zu fahren und seine Freilassung zu feiern. Um so größer waren Wut und Enttäuschung nach der Entscheidung der türkischen Justiz, den Korrespondenten der »Welt« in Untersuchungshaft zu nehmen. Der Vorwurf: Terrorpropaganda - für die PKK wie für die Gülen-Bewegung - und Aufwieglung der Bevölkerung. »Wir sind tief geschockt. Deniz, wir sind bei dir«, war unter dem Hashtag freedeniz zu lesen. »Ich bin entsetzt und fassungslos«, sagte Ilkay Yücel, die Schwester des Journalisten, dem »nd«. »Ich habe nicht mit dieser Entscheidung gerechnet und gehofft, dass Deniz freigelassen wird.«
Nach 13 Tagen im Polizeigewahrsam war Yücel am Montag im Istanbuler Justizpalast vernommen worden. Laut der »Welt« wurde er daraufhin dem Haftrichter Mustafa Cakar vorgeführt, der bereits mehrere Journalisten der kritischen Zeitung »Cumhuriyet« in U-Haft geschickt hatte.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bezeichnete die Entscheidung als »unverhältnismäßig hart«, zumal sich Yücel der türkischen Justiz gestellt habe. Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) erklärte: »Das ist eine viel zu harte und deshalb auch unangemessene Entscheidung.« Worte, die Yücels Unterstützern nicht entschieden genug waren: »Gäbe es eine Entscheidung, die angemessen wäre, weil sie weniger hart ist? Also, sagen wir, softe Inhaftierung - mit Plüschsofa, Flokati und Whirlpool? Nein, gibt es nicht. Die einzig angemessene Entscheidung wäre seine sofortige Freilassung gewesen«, sagte Steffen Küßner zum Auftakt des Berliner Korsos. Genau das, die sofortige Freilassung Yücels und aller in der Türkei inhaftierten Kollegen, forderte die Organisation Reporter ohne Grenzen.
Noch während der Korso in Berlin unterwegs war, wurde gemeldet, dass der türkische Botschafter in Deutschland, Kemal Aydin, wegen der Inhaftierung Yücels ins Auswärtige Amt einbestellt worden sei. Gabriel erklärte, Staatsminister Walter Lindner habe in seinem Auftrag mit dem Botschafter ein Gespräch geführt.
»Er wurde nur wegen seiner Berichte verhaftet, sie stellen definitiv keine Straftat dar«, erklärte der Abgeordnete der größten Oppositionspartei in der Türkei (CHP), Sezgin Tanrikulu. Yücel werde damit wie ein Terrorist und nicht wie ein Journalist behandelt. »Den Worten der Bundesregierung müssen endlich Taten folgen. Sie muss endlich mit Ankara Tacheles reden«, sagte der Grüne-Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu dem »nd«. »Jeder Demokrat ist gefragt, Solidarität mit Deniz Yücel und den weiteren 154 inhaftierten Journalisten in der Türkei zu zeigen.« Insgesamt sollten in zwölf Städten Autokorsos rollen. Allein in Berlin kamen rund 200 Wagen und etliche Fahrräder zum Protest zusammen.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.