Das Kairoer Hymnen-Massaker
Regelmäßig ärgern sich Ägyptens Staatsgäste über die Begrüßung durch die Militärkapelle von al-Sisi
Wenn die Nationalhymne erklingt, dann kann es auch schon mal Tränen geben, können Menschen auch ergriffen in die Knie gehen. »Aber ich habe es nur in Kairo erlebt, dass man dasteht, mit seinen Kollegen, den Chef in greifbarer Nähe, die Kameras auf sich gerichtet, und man minutenlang versuchen muss, bloß nicht los zu lachen, nicht einmal das Gesicht zu verziehen,« sagt ein ehemaliger Mitarbeiter des ebenso ehemaligen US-Außenminister John Kerry.
Denn die ägyptische Militärkapelle, die bei ausländischen Staatsbesuchen traditionell die Nationalhymne des Gastes spielt, erstaunt - in den französischen Medien sagte man gar: erschüttert -regelmäßig mit eigenwilligen Interpretationen der jeweiligen Hymnen. Diesen Härtetest musste nun auch Bundeskanzlerin Angela Merkel durchstehen: Ordentlich schräg klang es, das instrumentale »Einigkeit und Recht und Freiheit«. Merkel bestand die Mutprobe, indem sie machte, was sie immer macht, nämlich nichts. »So kann man auch nichts verkehrt machen«, ätzte ein ägyptischer Blogger, der wie viele andere junge Ägypter die Anonymität des Internets dazu nutzt, um zu sagen, was er von Merkel erwartet: Sie solle die Menschenrechte ansprechen, Staatschef Abdelfattah al-Sisi deutlich die Meinung sagen, statt ihn mit freundlichen Gesten zu adeln. Gleichzeitig kommt der Blogger zu dem Schluss: »Diese Misstöne werden wie immer die einzigen bleiben.«
Denn zwischen Kerry und Merkel sowie einer erheblichen Zahl von Staatsgästen, von denen man noch nie gehört hat, mussten auch Frankreichs Präsident Francois Hollande und der russische Staatschef Wladimir Putin mit anhören, wie ihre Hymnen in einem kakophonen Klangteppich versanken. »Big Pharao«, einer der bekanntesten ägyptischen Blogger, vermutet deshalb, dass die Sache mit den Hymnen System hat, von Sisi so gewollt ist: »Die meisten finden es peinlich und respektlos den Gästen gegenüber,« schreibt Big Pharao in einer Privatnachricht: »Wahrscheinlich ist es sein Weg, allen zu zeigen, dass er den Ton angibt, und alle anderen am Besten nichts dazu sagen.«
Denn wenn man sagt, dass Sisi zunehmend autokratisch regiert, dann meint man damit nicht nur die vielen Zehntausende, die aus politischen Gründen inhaftiert oder gar zum Tode verurteilt wurden, sondern auch, dass der Präsident ständig Berater und Minister feuert, weil sie anderer Meinung sind.
Ausländische Diplomaten in Kairo sagen, diese Haltung werde auch in den internationalen Beziehungen erkennbar: Schon auf der mittleren Verwaltungsebene werde deutlich zu verstehen gegeben, dass man sich jede Form von Kritik und alles, was als Einmischung aufgefasst werden könnte verbittet; die Frage, wie die Nationalhymne gespielt wird, ist dabei durchaus keine Kleinigkeit, denn es geht auch darum, welches Bild des ausländischen Staatsgasts in der Heimat entsteht: »Es ist ein PR-Problem, wenn der Präsident mit versteinertem Gesicht zuhört, wie die Hymne verstümmelt wird, und dann kurz darauf Geld und Waffen da lässt«, sagt ein französischer Diplomat.
Im Hause Hollande sei die Wut so groß gewesen, dass man am liebsten die geplanten Deals abgeblasen hätte, schrieb die Zeitung »Le Monde«. Doch Sisi habe brüsk damit gedroht, Flüchtlinge nach Europa zu schicken, und an der Grenze zu Israel Dienst nach Vorschrift zu machen. Von Merkel wird das nicht erwartet.
Angehörige der Militärkapelle, die meisten junge Wehrdienstleistende, selbst sagen, sie könnten sich schöneres vorstellen, als auf Youtube die mit dem Marseillaise-Tröten-Massaker zu sein, denn darüber lache man auch in Ägypten. Aber der Präsidentenpalast wolle das so.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.