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Neue Wunderwaffe der Konfrontation

Europa droht eine Neuauflage des Raketenstreits - willkommen in den 80er Jahren?

  • René Heilig
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Fakten sind so simpel, dass sie sogar US-Präsident Trump rasch erfassen kann. Ende der 1980er Jahre hatte der Wahnsinn der Blockkonfrontation in Europa seinen Gipfel erreicht. Pershing-Raketen und Cruise Missiles auf der westlichen und SS-20-Raketen auf der östlichen Seite waren als Treibmittel der Menschheitsvernichtung in Stellung gegangen. Doch Vernunft setzte sich durch. Ronald Reagan und Michail Gorbatschow schlossen im Dezember 1987 den sogenannten INF-Vertrag. Er verbietet seither beiden Seiten, Flugkörper mit einer Reichweite zwischen 500 und 5500 Kilometern zu produzieren und einzusetzen.

Bereits 2014 hatte die damalige US-Regierung von Barack Obama der russischen Führung vorgeworfen, ein neues, verbotenes Raketensystem zu testen. Doch die Kritik daran nahm der russische Präsident Wladimir Putin nicht ernst, schrieb die »New York Times« unlängst. Denn Russland verfüge inzwischen über zwei Bataillone, die mit den neuen lenkbaren, atomar bestückbaren Raketen ausgerüstet sind. Die könnten gegen NATO-Mitgliedsstaaten in Europa gestartet werden.

Nachdem sich der neue US-Präsident des Vorwurfs einer zu großen Russland-Nähe erwehren muss, entdeckte auch er, dass Putin den INF-Vertrag verletzt. Auch den sogenannten New-START-Vertrag zur Begrenzung strategischer Waffen nannte Trump einen »schlechten Deal«. Er will ihn neu verhandeln. Falls er irgendwann mal Putin begegnet, will er ihm das verklickern.

Doch schon wird im US-Kongress Stimmung gemacht für »Gegenmaßnahmen«. Forderungen nach einem Ausbau der nuklear bestückten US-Truppen in Europa werden erhoben. Das wäre ohne Zweifel eine neue Qualität im bereits begonnenen neuen Aufrüstungswettlauf.

Bislang hat sich die Bundesregierung nicht zum Thema INF-Vertrag geäußert. Begründung: Man sei nicht Vertragspartei. Nun heißt es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion: »Die Bundesregierung ist besorgt über die Einschätzung der US-Regierung, dass Russland durch die Entwicklung eines bodengestützten Marschflugkörpers gegen den INF-Vertrag verstößt und nimmt die erhobenen Vorwürfe ernst.« Um welche Raketen geht es?

Die Vorwürfe beziehen sich auf einen landgestützten Marschflugkörper, es gehe nicht um die »Iskander«-Rakete. So hörte man es jüngst aus dem US-Außenamt. Auch Trump wettert gegen einen »Marschflugkörper«. Den jedoch gibt es so gar nicht. Vermutlich ist eine spezielle Version der »Iskander« gemeint, deren Flugregime in der Tat vom üblichen Raketenschema abweicht. Der Flugkörper ist mit dem Radar schwer auszumachen, er hat einen tiefen Zielanflug und wechselt dabei nach dem Zufallsprinzip den Kurs. Die Rakete kann atomare Gefechtsköpfe tragen. Dass die bereits im Gebiet von Kaliningrad stationierten »Iskander« über den verfügen, ist unwahrscheinlich, da es in der russischen Exklave auch nach Auffassung der NATO-Aufklärung kein Atomdepot gibt.

Die »Iskander« ist ohne Zweifel eine höchst gefährliche Waffe, doch verstößt sie gegen die von Reagan und Gorbatschow unterzeichnete Vereinbarung? Es handle sich »um ein hochmobiles, offensives nuklearfähiges Raketensystem«, doch »aus Sicht der Bundesregierung fällt das russische Raketensystem ›Iskander‹ nicht unter die vom INF-Vertrag erfassten bodengebundenen Raketen mit einer Reichweite zwischen 500 und 5500 km«.

Dieses Wissen ist auch in den USA vorhanden, denn es ist kein Geheimnis, dass Russland mit den »Iskander«-Raketen seine SS-21-Raketen ablösen will. Diese Kurzstreckenraketen stammen noch aus den 80er Jahren und waren auch in der DDR stationiert. Laut Vertrag wurden sie in die Sowjetunion zurückgeführt. Dass die NVA gleichfalls solche Raketen besaß, hatte man bei den damaligen hektischen Einheitsverhandlungen glatt übersehen - man einigte sich heimlich auf Sonderlösungen zur Vernichtung dieser Waffen.

Bis 2020 soll die Umrüstung auf »Iskander« abgeschlossen sein. Russland will dann rund 120 Systeme an zehn Orten seiner östlichen, südlichen und westlichen Grenzen stationieren.

Wer Putin und seinen Generalen zugehört hat, der weiß: Die Stationierung hat auch das Ziel, Raketenabwehrinstallationen Paroli zu bieten, mit denen die USA das strategische Gleichgewicht zu ihren Gunsten verändern wollen. Das jedoch bestreitet die Bundesregierung. »Die NATO-Raketenabwehr ist nicht gegen Russland ausgerichtet und nicht in der Lage, die strategische Abschreckungsfähigkeit Russlands zu beeinträchtigen.« Dies hätten die Staats- und Regierungschefs beim Gipfels der Allianz im Juli 2016 in Warschau erneut bekräftigt. Und schließlich wird der Vorwurf erhoben, dass Russland »bereits 2013 einseitig den Dialog zu Fragen der Raketenabwehr mit der NATO eingestellt« habe.

Warum Moskau der NATO nicht traut, lässt sich auch mit anderen Beispielen erklären. Es geht bei der Aufrüstung am östlichen Bündniszipfel nicht nur um ein paar Panzer oder 4000 Soldaten. Die USA sind durchaus in der Lage, das Fehlen von Landsystemen durch maritime Startbasen auf Zerstörern, die auf der Ostsee oder dem Schwarzen Meer operieren, auszugleichen. Die haben Reichweiten von bis zu 2000 Kilometer. Jüngst haben die USA auch bestätigt, dass man Polen 70 luftgestützte Marschflugkörper mit einer Reichweite von 1000 Kilometern liefern will. Das ist in etwa die Entfernung von der polnischen Ostgrenze bis Moskau.

Dass bestehende Abrüstungsverträge zwischen den USA und Russland auch hilfreich sein können, um im Dialog zu bleiben, zeigt sich in Genf. Im November 2016 fand hier die 30. Sitzung der Special Verification Commission (SVC) statt, an der die USA, Weißrussland, Kasachstan, Russland und die Ukraine teilnahmen. »Ziel der Sitzung war die Lösung streitiger Implementierungsfragen zum INF-Vertrag«, weiß die Bundesregierung, kann aber als Nicht-Vertragspartner über den Inhalt der Gespräche nichts sagen.

Dennoch sehe man »die Parteien des INF-Vertrages in der Pflicht, offene Streitpunkte zu Implementierungsfragen des INF-Vertrages im Dialog zu lösen«. Darauf weise die deutsche Regierung in ihren bilateralen Konsultationen mit den USA und Russland regelmäßig hin »und fordert die Parteien zu konstruktiven Gesprächen auf«.

Was in den 1980er Jahren gelang, kann doch auch rund drei Jahrzehnte später nicht unmöglich sein. Dazu muss man nicht alles auf Anfang setzen, sondern nur Bestehendes ausbauen.

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