Der Griff zur militärischen Option

Interner Bericht kritisiert Verhalten der israelischen Führung im Gaza-Krieg

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine Befriedung des Gaza-Streifens ist weiter nicht in Sicht. Erst vergangenen Donnerstag sind in Israel wieder Raketen eingeschlagen, hat Israels Militär zur Vergeltung Basen der Hamas im Gaza-Streifen angegriffen. Niemand habe die Absicht, eine neue Militäroffensive gegen den dicht bevölkerten Landstrich, der sich seit 2007 in der Hand der Hamas befindet, zu beginnen, sagte Israels Verteidigungsminister Avigdor Liebermann dem israelischen Rundfunk. Der nächste Krieg sei unausweichlich, urteilen hingegen die Medien. Sie stützen dies nicht etwa darauf, dass vom Gaza-Streifen derzeit eine besondere Bedrohung ausgehe; ganz im Gegenteil: Schon seit vielen Jahren war es im Süden Israels nicht so ruhig wie in diesen Tagen. Die Argumentation ist anders: »Es gibt einfach noch zu viele Politiker, die glauben, dass man die Hamas mit militärischen Mitteln besiegen kann«, so ein Kommentator des israelischen Militärradios »Galei Zahal«.

Zu viel Militär, zu wenig Diplomatie, das ist auch das Urteil eines Untersuchungsberichts, den der israelische Staatskontrolleur Yosef Schapira in der vergangenen Woche veröffentlicht hat: Regierungschef Benjamin Netanjahu habe vor Kriegsausbruch ausschließlich auf die militärische Option gesetzt, der Inlandsgeheimdienst Schin Beth habe die Bedrohung, die von Tunneln unter der Grenze zwischen Israel und Gaza ausging, unterschätzt, und das, obwohl erste Informationen bereits Monate zuvor vorgelegen hatten. Zudem habe der Generalstab vor Kriegsbeginn die Regierung mehrmals darauf hingewiesen, dass die Hamas militärisch nicht zu besiegen sei. Stattdessen seien diplomatische Initiativen notwendig, um die humanitäre Lage in der Region zu lindern, und so den öffentlichen Druck zu nehmen, der letzten Endes einen erheblichen Anteil daran gehabt habe, dass die Hamas sich zur Eskalation entschied.

Stattdessen betonen Regierungspolitiker bis heute, nur möglichst starker öffentlicher Druck der Bevölkerung im Gaza-Streifen und die größtmögliche militärische Übermacht in Israel werde dazu führen, dass die Hamas-Machthaber stürzen. So könnte der Gaza-Streifen unter die Kontrolle der von der Fatah dominierten Palästinensischen Autonomiebehörde zurückgebracht werden.

Besonders schockiert hat die israelische Öffentlichkeit aber auch auf die Darstellung der Abläufe innerhalb der Regierung vor und nach Kriegsausbruch reagiert: Es ist ein Bild von Besserwisserei und Misstrauen, eines Ringens um Wählerstimmen, das der Bericht des Staatskontrolleurs zeichnet. Immer wieder habe Netanjahu das Sicherheitskabinett, dessen Beteiligung gesetzlich vorgeschrieben ist, nicht oder erst in letzter Minute eingeweiht. Weil, so der Regierungschef bei seiner Befragung durch das Untersuchungsteam, er befürchtet habe, dass die Kabinettsmitglieder umgehend mit den Medien reden. Regen Medienkontakt liegt in der Tat vor: Nahezu täglich forderten Minister dies und das; der damalige Außenminister Avigdor Liebermann und der damalige Wirtschafsminister Naftali Bennett, Vorsitzender der Siedlerpartei Jüdisches Heim, hätten Mitglieder des Generalstabs »bedrängt«, der Regierung bestimmte, politisch opportune Empfehlungen auszusprechen. Ganz oben auf der Liste: Eine Besetzung des Gazastreifen, in dem 2005 die israelischen Siedlungen geräumt worden waren.

Diplomatische Initiativen wurden indes nicht erwogen: »Wenn wir uns der Krise der Hamas vor Monaten angenommen hätten, wäre die Eskalation vielleicht vermeidbar gewesen«, zitiert der Bericht den damaligen Verteidigungsminister Mosche Ja‘alon. Doch ein Angebot der Vereinten Nationen vor Kriegsausbruch, die Zahlung der Löhne von Bediensteten der Hamas-Regierung zu organisieren, lehnte man entrüstet ab, und boykottierte die Bildung einer Einheitsregierung unter Führung von Präsident Mahmud Abbas im Juni 2014. Nach dem Krieg bat man dann die UNO um Lösung der Lohn-Krise.

Die Kritisierten monieren indes, Berichte wie dieser schwächten Israels Verteidigungsfähigkeit und verweisen auf die Jahre der relativen Ruhe. Doch auch innerhalb der heutigen Regierung gibt es Stimmen, die mahnen, dass es nicht sein könne, dass man sich von Krieg zu Krieg hangele, ohne klares Ziel vor Augen. Hinzu kommt, dass in Israels Regierungen, bedingt durch das Koalitionssystem, oft Leute sitzen, die sich nicht vertrauen: »Die militärische Option muss die letzte Wahl sein«, sagt Israels Geheimdienstminister Israel Katz, der dem rechten Rand des Likud angehört.

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